@Sybille
Vielen Dank für den Begriff Entwicklungstrauma. Muss mich mal näher damit beschäftigen, kannte ich bisher nicht. Das könnte aber das richtige Wort für das Problem sein.
Ich habe oft gedacht, dass das Problem gar nicht ist, was ich erlebt habe. Das konnte ich dann schon als "Mist, der nicht hätte passieren sollen" abhaken und auf eine bessere Zukunft hoffen. Sondern eher das Problem ist, was ich alles nicht erlebt habe. Dass ich bestimmte Erfahrungen nicht gemacht habe und darum mit anderen nicht teilen kann. Oder manchmal nicht weiß, wie sich normale Menschen in bestimmten Situationen verhalten.

Z.B. habe ich durchaus kapiert, dass meine Mutter erwartet, dass ich sie lieb habe und ihr das zeige. Ich habe aber beim besten Willen nicht herausgefunden, wie ich das tun kann. Wenn meine Mutter es mir vorgelebt hätte, hätte ich es einfach nachgeahmt. Aber sie wollte ja geliebt werden, obwohl sie sich scheiße benimmt. Ich glaube, dass sie absichtlich mies zu den Leuten war, von denen ich sie geliebt werden wollte, um ihre Liebe auszutesten und herauszufinden, wie stark diese Liebe ist. Naja, Borderliner halt. Hat nur leider dazu geführt, dass niemand so richtig stand gehalten hat.

Wenn ich zum Beispiel dann Bekannten erzählt habe, dass ich an Weihnachten zu meinen Eltern fahre, meinten sie mit leuchtenden Augen: "Das ist ja toll, darauf freust du dich doch sicher sehr." Und ich tat mir dann schwer, so richtig Vorfreude zu heucheln. Ich bin halt zu meinen Eltern gefahren, weil es sich gehört, und wappnete mich emotional, damit ich ihre Gemeinheiten nicht zu sehr an mich ranließ. Aber meine Bekannte ging dann davon aus, dass meine Eltern mich genauso dolle lieben wie ihre sie und dass mit mir irgendetwas nicht stimmt. Denn Eltern lieben ihre Kinder ja ganz instinktiv und wollen nur ihr Bestes. Das ist ganz natürlich und passiert ganz von selbst. Unnatürlich ist nur, dass ich nicht in der Lage bin, die Liebe meiner Eltern wahrzunehmen und zu würdigen. Und schon war ich mal wieder als "seltsam" abgestempelt. :-(

Jepp, es bringt gar nichts, zu sagen "Deine Gefühle sollten anders sein". Ich halte auch wenig davon, mir selbst irgendwelche Gedanken und Gefühle vorzusagen, die ich mir antrainieren will. Erfahrungsgemäß muss man sich seinem Schmerz stellen, seine Gefühle beim Namen nennen und dann lösen sie sich oft wie Rumpelstilzchen in Rauch auf. Gerade bei einem Trauma muss man sich meiner Meinung nach der Realität stellen, dass nun mal körperlich und seelisch Narben da sind.

OK, hab jetzt ein wenig geschmökert zu Entwicklungstrauma. Aber was mir da nicht so recht gefällt, überhaupt bei vielem im Bereich Psychologie und Esoterik: Es wird gerne so getan als würde ich mit meinen Gedanken die ganze Welt steuern. Wenn ich mich selbst toll finde, finden die anderen mich auch toll, wenn ich ein Trauma habe, zwinge ich die anderen dazu, mich blöd zu finden und mies zu behandeln.
Das stimmt aber so gar nicht. Ich hatte in meinem Leben auch Phasen, wo ich mich richtig cool und erfolgreich fühlte, ich war produktiv und so weiter. Da fanden meine Mitmenschen mich aber trotzdem nicht toll, sondern ich bekam noch mehr Haue als in den Lebensphasen wie jetzt, wo ich einfach meinen Job mache, ohne viel zu kommentieren oder irgendwelches Lob dafür zu erwarten. Dafür bezahlt zu werden genügt.

Grundsätzlich aber habe ich das Gefühl, dass eigentlich fast alle Menschen einen Hau weg haben. Genau darum finden sie es ja so scheiße, wenn sich jemand wohl fühlt oder ihm die Arbeit oder etwas anderes leicht von der Hand geht. Dann kommt gleich Neid auf. Das heißt, selbst wenn ich nicht traumatisiert wäre und der vollen Überzeugung, so toll zu sein, dass alle mich lieben müssen, würden sie es nicht tun. Ich steuere nämlich nicht gantz alleine die ganze Welt nur mit meinen Gedanken.

Was auf jeden Fall nämlich trotzdem passiert, sind Misogynie, Diskriminierung, Vorurteile, Intrigen, Neid, usw. In meinem Berufsleben wurde mir oft genug begründet, dass man mich so scheiße behandelt, weil ich eine Frau bin. Das geben die nämlich ganz offen zu, wenn man das mal ausdiskutiert! Die Argumentationslinie ist dann z.B. "Frauen können nicht logisch denken -> Frauen können keine Naturwissenschaften -> Frauen können keine Naturwissenschaften studieren -> Du hast nicht studiert -> Dein Uni-Zeugnis ist gefälscht -> Du bist für diesen Job nicht geeignet UND außerdem noch eine Zeugnisfälscherin -> Leute wie dich können wir hier nicht brauchen, hau ab!" Und das hat jetzt echt wenig mit meinem Selbstbewusstsein zu tun. Für eine Frau ist mein Selbstbewusstsein immer noch zu hoch und das reizt solche Typen.

Abgesehen davon hat mein "Ich kann nicht mehr" nicht mit Selbstbewusstsein zu tun, sondern mit dem Burnout. Ich bin einfach ausgebrannt und habe meine emotionale Energie verbrannt damit, dass ich mehrere belastenden Baustellen in meinem Leben habe. Ich arbeite hart daran, auf allen Baustellen wieder Ordnung zu schaffen, aber es ist eben viel Arbeit.