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Entmüllen ... und dann?
Hallo Zusammen,
ich bin seit einer Woche massiv mit dem Thema "Vermüllung" konfrontiert und bin von daher auf der Suche nach Informationen und Lösungsvorschlägen.
Mein Onkel wohnt seit vielen Jahren in eine Wohnung, die seit ein paar Monaten mir gehört. (Ich habe sozusagen die Wohnung samt Bewohner geerbt ...) Bislang hatten wir recht wenig und nur unregelmässig Kontakt. Zur Übergabe der Wohnung hatten wir uns (natürlich bei mir) getroffen und neben den finanziellen Dingen vereinbart, das ich die Wohnung besichtigen kann, die ich bislang noch nicht gesehen hatte. Seitdem war kein Kontakt mehr möglich (null Reaktion), bis vor wenigen Tagen ein Brief der Hausverwaltung bei uns ankam: Ein Handwerker hatte abgelehnt, in der Wohnung wegen der "schlechten hygienischen Zustände" Reparaturen durchzuführen. Nach vehementen Versuchen der Kontaktaufnahme konnten wir letzte Woche nun doch telefonieren. Die Katze war ja nun eh aus dem Sack und das Verstecken war nicht mehr möglich. Wir (Meine Frau, mein Sohn und ich) hatten direkt Hilfe beim Aufräumen angeboten, die auch tatsächlich angenommen wurde. Am letzten Samstag haben wir dann sicherlich über eine Tonnen Müll entsorgt, und dieses Wochenende soll es weiter gehen mit Entsorgen und ersten Putzversuchen.
Einerseits habe ich die Hoffnung, das eine Hau-Ruck Aktion wieder zu einem Normalen Leben führen kann.
Andererseits ist klar das eine generelle Verhaltensänderung notwendig ist.
So, nun der Fragebogen:
1. Ist der Betroffene deiner Meinung nach ein echter Messie, oder hat er eine Antriebsstörung, oder beides? (Worin der Unterschied besteht, und warum das wichtig ist, ergibt sich aus dem o.g. Text)
Nach Lesen der sehr gut beschriebenen Differenzierung definitiv eine Antriebstörung. Zum Anfang des Entsorgens (und mit den Beschreibungen der echten Messies im Sinn) fragte ich was denn wichtig für ihn sei. Die Anwort: "Du siehst es ja. Weg, alles weg."
2. Falls er tatsächlich primär Objekte sammelt, die er nicht loslassen kann: Was sind das für Objekte?
Das ist nicht der Fall. Von gewissen Objekten sind zwar viele Exemplare aufgetaucht, aber eher weil Sie unter Müllbergen begraben und daher unauffindbar waren, so dass neue gekauft wurden.
3. Wer lebt noch mit dem Betroffenen zusammen? Du selbst, andere Angehörige, Kinder, Haustiere? Worin bestehen deiner Meinung nach die für diese Mitbewohner problematischsten oder belastendsten Einschränkungen im Alltag?
Er lebt seit etwa zehn Jahren allein. Nach der Trennung von seiner damaligen Partnerin hat wohl die Vermüllung angefangen
4. Wie sieht ein typischer Tag im Leben des Betroffenen aus? (in Stichpunkten)
Mein Onkel hilft noch recht regelmässig einem Kumpel bei Gelegenheitsarbeiten. Natürlich darf keiner in die Wohnung, und nachdem der Handwerker sich beschwert hatte war er wohl sozusagen auf der Flucht und kam nur spät und heimlich in seine Wohnung. Mein Onkel hat ansonsten wenig Kontakte (denke ich ...)
5. Gibt es diagnostizierte, vermutete oder bereits ausgeschlossene Erkrankungen/Störungen, die entweder als Auslöser in Frage kommen, oder die Situation verschärfen? (zum Beispiel Depressionen, ADS/ADHS, Traumata, aber auch Gehbehinderung, hohes Alter, Demenz, Rückenleiden....)
Eventuell eine "Anpassungsstörung" nach der Trennung von der damaligen Partnerin. Mit 70 Jahren nicht mehr der Jüngste, aber eigentlich noch recht rüstig.
Vielleicht auch ein Hang zu ADS/ADHS: Manche Projekte wurden angefangen (zB Bodenbeläge, die gekauft wurden, eventuell mit dem Wunsch wieder schön zu wohnen, Farben und Pinsel in mehrfacher Ausführung). Er war früher Alkoholiker, ist aber seit vielen Jahren trocken.
6. Oft gibt es wiederkehrende Konflikte zwischen dem Betroffenen und engen Angehörigen. Wie verläuft ein solcher, typischer Konflikt genau? Wer sagt oder tut was, wie reagiert der andere, wie wird die Konfliktsituation beendet?
7. Weißt du etwas über die Kindheit bzw das Elternhaus des Betroffenen?
Aufgrund schwerer Krankheit als kleines Kind wurde er eher sehr behütet und verwöhnt - das ist zumindest die Darstellung meiner Mutter, der älteren Schwester ...
8. Liegt ein "extremer Verwahrlosungsgrad" vor?
Das erste Betreten der Wohnung war schockierend. Die Wohnungstür konnte nur einen Spalt Breit geöffnet werden, Nutzbare Flächen waren nur ein teil der Wohnzimmercouch, ein Teil des Bettes, eine kleine Fläche des Ceranfeldes in der Küche wurde von Fett freigekratzt. Kein einziges sauberes Stück Geschirr in der Küche, der ursprüngliche Bodenbelag in fast allen Räumen nicht mehr erkennbar.
Einziger Lichtblick: Die Toilette ware geputzt!
Der verteilte Müll Bestand aus Papier, Plastiktüten und ungeöffneten Einkäufen. Interessanterweise waren gewisse Müllarten entsorgt worden, so gab es zB keine leeren Verpackungen, keine Leeren Flaschen. Zum Glück keine Haustiere!
9. Besteht der Verdacht auf Selbstgefährdung (z.B. Suizidgedanken oder -absichtserklärungen, Verweigerung oder Vergessen von lebenswichtigen Medikamenten) oder andere bedenkliche Verhaltensweisen? Einfach benennen, auch wenn du nicht sicher bist. Auch das würde andere Maßnahmen erfordern.
Glaube nicht, nimmt regelmässig Medikamente und geht zum Arzt
10. Besteht der Verdacht auf Fremdgefährdung bzw Gefährdung fremden Eigentums? Z.B. offen liegende Steckdosenanschlüsse, wenn Kinder im Haushalt leben, Tiere, an denen Anzeichen von Verwahrlosung zu erkennen sind, Bausubstanzbeschädigung durch Schimmelbefall, Ungeziefer
11. Erzähle das, wonach wir noch nicht gefragt haben. Warum bist du heute hierher gekommen? Wie geht es dir zur Zeit, und wie geht es dir jetzt im Moment? Was möchtest du loswerden? Was findest du, sollten wir sonst noch über den Betroffenen, über dich, oder über euer Verhältnis zueinander wissen?
12. Deine Fragen - zum Messiesyndrom im Allgemeinen? Zu deinem Fall im Speziellen? Kannst du formulieren, was du dir von deinem Besuch hier erhoffst, erwartest oder wünschst?
Ist eine "Betreuung" notwendig? (habe ich gefragt, hat er verneint/abgelehnt.)
Einfach berichten was bislang geschah. Diskutieren ob mein/unser Vorgehen soweit Sinnvoll ist, eventuell Erfahrungen wie es von der Fremdhilfe zur Selbsthilfe kommen kann.
Die Artikel im Forum zum Thema "Antriebsstörung" waren sehr informativ. Gibt es diese auch als PDF zum Ausdrucken?
Vielen Dank für das tolle Forum,
Gruss Markus
Hallo Markus,
ich habe Anfang August eine ähnliche Hauruck-Aktion hinter mich gebracht, mit fremder Hilfe und zwei Wochen später war auch die Grundreinigung der Wohnung abgeschlossen.
Ich kann nur von meinem persönlichen Empfinden berichten, aber einiges, was du über deinen Onkel schreibst, ist sehr ähnlich wie bei mir.
Ich habe mich hier im Forum angemeldet und so einiges über das Belohnungsprinzip gelernt. Und über Grundordnung. Und ganz tolle, positive Erfahrungen gemacht, was Hilfe annehmen angeht.
Alleine war der Berg zu groß für mich. Aber jetzt, wo ich eine "Normaloküche" z. B. besitze, freue ich mich wieder jeden Tag darüber, diese auch zu nutzen. Aber der erste Schritt war überhaupt, mein persönliches
Tabu zu brechen (es wußte ja niemand. Im Haus hat man es vermutet, aber ich bin auch immer "reingeschlichen", wenn ich z. B. im Dunkeln sah, dass im Hausflur Licht ist, habe ich draußen gewartet, bis es aus war).
Wie du schreibst, quasi nicht zu leugnen, als die Katze aus dem Sack war. (Als mein Vermieter anrief, der nicht die Absicht hatte, mir zu kündigen, sondern mir mit seiner Frau wirklich helfen wollte).
Ich kann dir also ein wenig Hoffnung machen, dass diese Aktion nicht einfach im alten Muster enden muß. Natürlich kann ich nicht in meine persönliche Zukunft blicken, aber ich merke, dass sich meine Antriebslosigkeit
nicht mehr permanent durchsetzen kann. Gestern abend, z. B. hatte ich Besuch, der bis gegen 2:00 Uhr blieb. Danach hab ich noch das ganze Geschirr gespült, u. a. einen schweren Gußtopf, in dem den ganzen Tag Spaghettisauce schmurgelte. Ich wäre natürlich am liebsten gleich schlafen gegangen, aber die Aussicht, welcher Anblick mich dann heute in der Küche erwartet hätte, das hätte mich vielleicht wieder ein gutes Stück zurückgeworfen. Danach habe ich mir ein Kerzchen gesucht, einen Tee geschnappt und mich mit einem Stündchen auf dem Balkon belohnt, wo ich nachts immer ein schönes friedliches Gefühl verspüre. Und heute morgen war die Küche chic.
numi hat es hier unglaublich gut drauf, zu jedem einzelnen von uns, Anmerkungen zu machen, die mich in die richtige Richtung schieben. Wenn du dich mit den Posts beschäftigen willst, die sie schreibt, kannst du bestimmt einige Anregungen für deinen Onkel finden. Und dort, wo er sich in der Lage sieht es umzusetzen, aufstocken.
Ich finde es schön, dass du dich damit beschäftigst, zumal ihr ja bisher kein sonderlich enges Verhältnis gehabt zu haben scheint. (Was sich jetzt vielleicht sogar ändert).
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Hallo markus,
herzlich Willkommen hier im Forum!
Vielen Dank, dass du den Fragebogen ausgefüllt hast, das erleichtert es mir sehr, Ansätze für Hilfsangebote zu finden.
Aus deiner eigenen Sicht ist das natürlich ein heftiger, vielleicht auch verstörender Fall, aber im Vergleich zu manchem, was hier im Forum auftaucht, ist der Fall gar nicht von so katastrophalen Ausmaßen: Ein Teil des Lebens deines Onkels funktioniert noch; er hat bei bestimmten Dingen sogar eine gewisse Regelmäßigkeit, und das können wir uns zunutze machen. Was beinahe noch wichtiger ist: Er erfährt in seinem Umfeld (also von dir) Verständnis und das Bemühen zu helfen, und keine wütenden Forderungen, dass er "endlich zu funktionieren habe". Davon wegzukommen ist beinahe der schwerste Teil.
Dass seine Vermüllung spätestens mit der Trennung der Freundin begann, wäre ein Klassiker, denn wir gehen davon aus, dass dadurch erst ans Licht kommt, dass sich der Betroffene nicht selbst motivieren kann, sondern auf extrinsische Motivation angewiesen ist. Fällt die weg, geht nix mehr. Auch das, was du als noch funktionierend beschreibst (der Kumpel), ist ja etwas, das von außen kommt. Glücklicherweise scheint dein Onkel vergleichsweise eng gesteckte Grenzen des Erträglichen zu haben, denn er entsorgt bestimmte Dinge, vermutlich weil das für ihn ein No-Go wäre, wenn die sich zu türmen begännen.
Sich selbst motivieren zu können, muss man lernen bzw sollte es beigebracht bekommen. Bei Menschen, die in der Kindheit überbehütet/verwöhnt wurden, entstand die Notwendigkeit dazu nie, daher haben sie es nie gelernt. Hier kommt auch noch eine Suchtproblematik dazu, allein zu der könnte ich wahrscheinlich zwei DIN A4 Seiten spekulieren, aber nur so viel: Wenn man eine Sucht als "unglücklich gewählte Form von Selbstbelohnung" versteht, also dass jemand immer zum Feierabend, am Wochenende etc sich "zur Feier des Tages" mit Alkohol belohnt, dann führt das sowohl körperlich (durch die Beschaffenheit des Alkohols), als auch mental (durch die Selbsterziehung "Dies ist deine Belohnung!") rasch zur Abhängigkeit. Leider, leider erkannte man früher da die Zusammenhänge nicht, man betrachtete nur die körperliche Abhängigkeit, und vergaß (oder tat es nicht bewusst genug), die falsche Art von Belohnung durch eine sinnvolle Art zu ersetzen. Der Süchtige muss(te) sich also permanent zwingen, zu verzichten. Das führt zu etwas, das wir "chronisch unterbelohnt" nennen. Also der ständige Verzicht auf die liebste Belohnung (Alkohol), ohne sich stattdessen mit irgendwas harmlosem, sinnvollem zu belohnen, führt dazu, dass der Betroffene keine Möglichkeit mehr kennt, sich zu irgendwas zu motivieren, zu dem er sich früher mit der Aussicht auf Alkohol motivieren konnte.
In seinem Fall empfehle ich, mit dezenter, positiver sozialer Kontrolle zu beginnen. Also mit ihm gemeinsam das Chaos zu beseitigen, und ihn wenigstens wöchentlich kurz zu besuchen. Wenn ihr könnt, solltet ihr ihm helfen, gewisse Verpflichtungen einzuhalten, die Struktur in sein Leben bringen - woraus sich dann auch eine gewisse Notwendigkeit ergibt, Dinge jetzt zu erledigen, und nicht später (weil später keine Zeit dafür ist). Er lässt sich ja zu einem gewissen Grad fremdbestimmt motivieren. Ich denke, er möchte auch noch irgendwie Teil der Gesellschaft sein, sonst wäre er längst noch isolierter. Dass er keinen in die Wohnung lässt, gründet vermutlich hauptsächlich auf Scham, und nicht auf "allergischer" Ablehnung von Fremdbestimmung. Meine Vermutung wäre, dass er in eurer Anwesenheit, also beim gemeinsamen Aufräumen, sehr schnell Anzeichen von Eigeninitiative zeigen wird (also mithelfen, oder wenn ihr weg seid, noch weiter arbeiten, was er euch dann am nächsten Tag stolz präsentiert). Dafür möchte er gelobt werden, und loben und danken ist wichtig, um ihn zu motivieren, weiterzumachen. Aber ihr müsst ihm vor allem alternative Belohnungskonzepte aufzeigen, die er mit sich selbst verhandeln und umsetzen kann. Dabei werdet ihr ihn an die Hand nehmen müssen. Ich empfehle euch, solche Dinge bei eurer Aufräumaktion einzuplanen, vorab anzukündigen und pünktlich umzusetzen. Mit ein wenig Fingerspitzengefühl kann man dann auch erwähnen, dass solche Dinge dazu gehören, nachdem man eine Leistung erbracht hat.
"Onkel, wir machen jetzt hier mal drei Stunden zusammen klar Schiff, und dann gehen wir alle Mann schön zum Essen - wo würdest du denn gerne mal hingehen?" oder "Du, wenn wir hier heute das Wohnzimmer fertig bekommen, dann könnten wir heute Nachmittag mal alle zusammen an den See fahren und spazieren gehen."
"Ist eine "Betreuung" notwendig? (habe ich gefragt, hat er verneint/abgelehnt.)"
Ich würde sagen, nein, sie ist nicht notwendig, und sie würde - vermutlich! - auch von Seiten der Behörden abgelehnt werden, weil er (tschuldigung, wenn ich das jetzt so sage) noch viel zu selbständig ist, und gewisse Minimalstandards aufrecht erhält, um rechtfertigen zu können, ihm seine Grundrechte teilweise zu entziehen.
Mehr dazu
Die Texte gibt es bedauerlicherweise nicht als pdf. Du kannst sie aber markieren und ausdrucken. Wenn dir das so technisch nicht möglich ist, könnte ich sie speichern und dir im DOC-Format mailen. Schicke mir dazu dann doch bitte eine PN mit der Emailadresse und den Links zu den gewünschten Texten.
Hallo Frosch, Hallo Numi,
vielen, vielen Dank für die umfangreichen, motivierenden und umfassenden Antworten.
Heute war "Aufräumen Teil 2" angesagt - wir sind in breiter Front (meine Frau, mein ältester Sohn und meine beiden Töchter) angerückt und haben zusammen angepackt.
Respekt vor den Kinder im Teeniealter (16,14,und 12), alle haben ohne Murren mit geholfen.
Im Vergleich zu letzter Woche war quasi wenig verändert- also keine erkennbaren Aufräumfortschritte, aber auch kein neuer Müll oder Dreck in der Küche.
Während die Damen die Küche nun wieder auf einen Mindeststandard gebracht haben (nun also kein Dreckiges Geschirr mehr, Boden Herd und Spüle gesäubert, alle abgelaufenen Lebensmittel entsorgt und eine Grundordnung wieder hergestellt) war ich mit meinem Onkel im Keller und habe dort Platz geschaffen. Dabei hat er zupackend mitgewirkt. Ein echter Messie ist er auf jeden Fall nicht, seine Bewertung welche Gegenstände fort sollen und welche er noch braucht ist sehr vernünftig.
Dabei war auch Zeit für Gespräche, und ich habe auch das Thema "Eigenmotivation" angesprochen. Er hat mir zugestimmt das es Ihm nicht schwerfällt, für andere was zu tun weil dann die Motivation von aussen kommt. Ich habe Ihm vorgeschlagen, sich selbst Belohnungen auszudenken, diese aber erst zu bekommen wenn er eine Aufgabe bewältigt hat. Allerdings glaube ich, das dazu noch viel mehr Einübung notwendig ist. Ich habe auch den Eindruck, dass die Zeitspanne für eine Aufgabe nicht zu lange sein darf. Ich bin nicht sicher ob ich das komplett leisten kann. Aber die nächsten Wochen werde ich noch öfters vorbeikommen, so dass ich ja die Entwicklung beobachten kann.
Also "kannst Du bis nächste Woche folgende grosse Aufgabe machen" funktioniert noch nicht, zB:
Der Handwerker soll ja nächste Woche kommen, von daher schlug ich vor "Du kannst Ja diese Woche den Tisch im Wohnzimmer abräumen und die Werkzeuge in den Keller bringen." Sein Gegenvorschlag war: "Man kann den Tisch ja auch einfach etwas nach hinten schieben, dann hat er auch genug Platz."
Aber eine Bitte wie "bring doch mal diese Kiste zum Restmüll" wurde gerne erfüllt.
Mein heute gewonnen Einschätzung ist, das er nicht imstande ist aus dem Chaos selbst eine neue Grundordnung herzustellen.
Möglicherweise kann es aber gelingen, das er in einer "neuen Grundordnung" funktioniert und sich an neue Regeln hält - daher auch vielen Dank, Frosch, für Deinen Erfahrungsbericht.
Er war zum Beispiel sehr darauf bedacht, dass wir den Kellerflur sauber hinterlassen so dass er keine Kritik der anderen Hausbewohner zu hören bekommt.
Bzgl der Anleitungen: Ich glaube das er die Gesamttexte doch so am Stück nicht lesen würde, von daher benötige ich nun doch kein PDF. Kleiner Schnipsel kann ich mir ja mal selbst ausschneiden.
So, nun belohne ich mich selbst mit einem gemütlichen Feierabend.
Gruss, Markus
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Hallo markus,
mir glühen die Ohren vor Freude, wieviele nützliche Informationen du für euch und eure Situation mitnehmen konntest, und wie gut das schon funktioniert!
"Respekt vor den Kinder im Teeniealter (16,14,und 12), alle haben ohne Murren mit geholfen."
Ich bin ja selbst Mama, und mache mir das Belohnungsprinzip auch für meine Kids zunutze. Ich schätze, es ist auch dir nicht völlig fremd, daher empfehle ich womöglich "für die Füße", aber wann immer ich eine Gelegenheit sehe, erwähne ich nur zu gern - weil es einfach sooo viele Konflikte vermeiden kann und sooo nützlich ist für das Leben von jedermann - das funktioniert auch für nicht-Antriebsgestörte. Also die Kids loben, dich bedanken, ihnen deinen Respekt bekunden, und ihnen hier und da Belohnungen für besondere Leistung in Aussicht stellen macht sie stark fürs Leben, wenn es für die "richtigen" Dinge erfolgt. (Gilt natürlich auch für die Göttergattin ;) )
"Im Vergleich zu letzter Woche war quasi wenig verändert- also keine erkennbaren Aufräumfortschritte, aber auch kein neuer Müll oder Dreck in der Küche."
Das ist ein Fortschritt. Es heißt ja, dass er Instandhaltungsarbeiten geleistet hat. Also auch das bei der nächsten Gelegenheit anerkennen/positiv verstärken. "Hey toll, ich hatte ja schon die Sorge, es könnte wieder mehr geworden sein, aber du hast dir ja richtig Mühe gegeben, dass das so bleibt!"
"Während die Damen die Küche nun wieder auf einen Mindeststandard gebracht haben (nun also kein Dreckiges Geschirr mehr, Boden Herd und Spüle gesäubert, alle abgelaufenen Lebensmittel entsorgt und eine Grundordnung wieder hergestellt) war ich mit meinem Onkel im Keller und habe dort Platz geschaffen. Dabei hat er zupackend mitgewirkt. Ein echter Messie ist er auf jeden Fall nicht, seine Bewertung welche Gegenstände fort sollen und welche er noch braucht ist sehr vernünftig. Dabei war auch Zeit für Gespräche,"
An dieser Stelle schon der kleine Einwurf: Ich finde es klasse, und es ist sicher nicht selbstverständlich, dass du dir diese Zeit genommen hast. Solche Situationen zu erkennen erfordert Einfühlungsvermögen und Fingerspitzengefühl. Dein Onkel kann sich glücklich schätzen, dich zu haben.
"und ich habe auch das Thema "Eigenmotivation" angesprochen. Er hat mir zugestimmt das es Ihm nicht schwerfällt, für andere was zu tun weil dann die Motivation von aussen kommt. Ich habe Ihm vorgeschlagen, sich selbst Belohnungen auszudenken,"
Allein das selbst ausdenken kann schon problematisch sein. In dem Fall hier kannte dein Onkel ja früher hauptsächlich den Alkohol, und dann hat ihm vermutlich keiner bessere Alternativen gezeigt.
"...diese aber erst zu bekommen wenn er eine Aufgabe bewältigt hat. Allerdings glaube ich, das dazu noch viel mehr Einübung notwendig ist."
Absolut korrekte Einschätzung. Sich selbst zu belohnen ist ein Konzept, das den Betroffenen oftmals total fremd ist. Sie verfügen nicht über die Verknüpfungen im Gehirn, um sich das auch nur vorstellen zu können (oder diese sind zwar vorhanden, aber "verstümmelt").
"Ich habe auch den Eindruck, dass die Zeitspanne für eine Aufgabe nicht zu lange sein darf."
Ebenfalls korrekt, und sehr gut beobachtet. Das hat zum einen etwas mit der Fähigkeit zum Belohnungsaufschub zu tun, der erst geübt werden muss, und zum anderen sicher auch mit dem fortgeschrittenen Alter, vielleicht auch mit Ängsten. Zu große Aufgaben wirken überfordernd. Man muss dabei als Normalo die eigenen Vorstellungen, was man selbst überfordernd fände, über Bord werfen. Die Aufgaben müssen so formuliert werden, dass sie narrensicher erfüllt - und dadurch auch narrensicher belohnt werden können.
"Ich bin nicht sicher ob ich das komplett leisten kann."
Wenn er lernt, seine großen Aufgaben in ganz kleine Teilschritte zu zerlegen, und sich für jeden davon immer zu belohnen, kann er das. Wenn er "das Haus auf Vordermann bringen" soll, und dafür zum Beispiel von euch eine neue Waschmaschine bekäme, könnte er es nicht.
Aber die nächsten Wochen werde ich noch öfters vorbeikommen, so dass ich ja die Entwicklung beobachten kann.
Also "kannst Du bis nächste Woche folgende grosse Aufgabe machen" funktioniert noch nicht, zB:
Der Handwerker soll ja nächste Woche kommen, von daher schlug ich vor "Du kannst Ja diese Woche den Tisch im Wohnzimmer abräumen und die Werkzeuge in den Keller bringen." Sein Gegenvorschlag war: "Man kann den Tisch ja auch einfach etwas nach hinten schieben, dann hat er auch genug Platz."
Das gibt dir einen recht guten Einblick, wie klein die Aufgaben sein müssen, damit sie ihn nicht überfordern. Sehr klein.
"Aber eine Bitte wie "bring doch mal diese Kiste zum Restmüll" wurde gerne erfüllt."
Immer loben/bedanken nicht vergessen, aber vor allem wirklich in der nächsten Zeit die Augen aufsperren, und selbst den allerkleinsten Hauch von Eigeninitiative (wie eben, dass er von ganz alleine Müll weggebracht hat, damit es nicht wieder zumüllt) intensiv loben/positiv verstärken.
Mein heute gewonnen Einschätzung ist, das er nicht imstande ist aus dem Chaos selbst eine neue Grundordnung herzustellen.
Wenn er das nie gelernt hat, richtig.
Möglicherweise kann es aber gelingen, das er in einer "neuen Grundordnung" funktioniert und sich an neue Regeln hält - daher auch vielen Dank, Frosch, für Deinen Erfahrungsbericht!
Ja, für ihn eine Grundordnung einzurichten, sie ihm zu erklären, damit er sich an sie halten kann, und ihm beizubringen, wie er sich dazu aufraffen kann, sie einhalten zu wollen, das kann gut gelingen. Vor allem nach dem, was du bisher an Fortschritten berichtest, bin ich da recht optimistisch.
Er war zum Beispiel sehr darauf bedacht, dass wir den Kellerflur sauber hinterlassen so dass er keine Kritik der anderen Hausbewohner zu hören bekommt.
Das hat damit nichts zu tun, sondern ist das Funktionieren durch einen negativen Verstärker (Druck, Angst oder Scham), also eine Form extrinsischer, negativer Motivation. Gewissermaßen also Fremdbestimmung. (Man kann sich auch selbst Druck, Angst oder Scham erzeugen, dann wäre das intrinsisch negativ). Es ist zwar ein Vorteil, dass das bei ihm funnktioniert, aber allein darauf aufzubauen, hilft ihm eben nicht in allen Bereichen, auf die Außenstehende keinen Zugriff oder Einfluss haben.
Bzgl der Anleitungen: Ich glaube das er die Gesamttexte doch so am Stück nicht lesen würde, von daher benötige ich nun doch kein PDF. Kleiner Schnipsel kann ich mir ja mal selbst ausschneiden.
So, nun belohne ich mich selbst mit einem gemütlichen Feierabend.
Der letzte Satz ist pures Gold!
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