Du urteilst emotional. Emotionen stehen einer Lösung dieses hochemotionalen Konflikts im Weg. Also gilt es, die Gefühle in den Griff zu kriegen. All die Wut, und Angst, und Hass, Schuldgefühle, Recht-haben-wollen, zu stolz sein, nicht klein beigeben wollen für sich zu behalten, und die Situation logisch zu betrachten.
Ein Teufelskreis zwischen zwei Personen ist ein hoch schematischer, das heißt immer wieder in einer festgelegten Reihenfolge ablaufender Konflikt. Beide Beteiligten wissen vorher schon ganz genau, was der andere als nächstes tun wird. Sie führen diesen Konflikt auf, wie ein Schauspiel. Jeder sagt festgelegte Sätze, jeder benutzt festgelegte Körpersprache, jeder verhält sich auf die immer gleiche, absolut vorhersehbare Weise.
Wenn sie ihren Mann angreift, wird ein Shitstorm über sie hereinbrechen, den sie sich nicht mal vorstellen will. Er lauert seit Jahren darauf, dass sie ihm endlich einen Anlass gibt, die nächste Eskalationsstufe zu erreichen. Wenn sie angreift, könnte sie im Krankenhaus landen, oder Schlimmeres. Ich sage nicht, dass es so sein wird, nur, dass die Gefahr besteht. Weil Laurie die Gefahr instinktiv begreift, die von diesem Verhalten ausgeht, entscheidet sie sich für eine von zwei alternativen Strategien: Flucht oder Starre. In ihrem Fall ist es Starre. Er greift an, sie erstarrt, er gewinnt. Und weil er immer mit seinen Angriffen gewinnt, setzt er sie immer weiter fort.
Laurie hat aber noch eine Möglichkeit gefunden, sich gegen ihren Mann zur Wehr zu setzen: Indem sie Handlungen nicht aufnimmt, selbst wenn er sich dafür auf den Kopf stellen würde, leistet sie passiven Widerstand - weil sie sich nicht wagt, aktiven Widerstand zu leisten.
Da sie schon seit so langer Zeit passiven Widerstand leisten kann, muss sie unglaublich stark sein. Es wäre viel einfacher, zu tun, was er ihr befiehlt, als sich andauernd zu weigern, und dafür noch schlimmer angegriffen zu werden. Obwohl Laurie so stark ist, ist ihre Stärke nicht unendlich. Ihre Ressourcen, Widerstand zu leisten, beginnen sich zu erschöpfen. Sie verliert mehr und mehr an Kraft, und sie verliert mehr und mehr wertvolle Bestandteile ihrer Persönlichkeit: Ihren Stolz, ihre Selbstachtung, ihre Widerstandsfähigkeit. Eines Tages wird nichts mehr von Laurie übrig sein. Sie wird der devote Sklave dieses Mannes sein, oder sie wird sich umbringen. Mit Glück kann sie vorher fliehen. Aber fliehen ist kompliziert. Was wird aus dem Haus, was wird aus den Kindern? Was wird aus gemeinsamen Verbindlichkeiten? Was wird aus unseren Besitztümern? Was wird aus mir? Wie soll ich all diese Dinge allein regeln? Und wie wird er reagieren, wenn ich ihm sage, dass ich ihn verlasse?
Die Deeskalation dieses Konflikts bietet einen Ausweg, der vorher immer unsichtbar war. Einen risikolosen Ausweg, der das Problem von der anderen Seite aufrollt.
Ich schrieb:
"Es wäre viel einfacher, zu tun, was er ihr befiehlt, als sich andauernd zu weigern, und dafür noch schlimmer angegriffen zu werden"
Und genau das tun wir jetzt. Sie geht auf seine Forderungen ein. Sie lässt ihn gewinnen. Aber sie gewinnt dadurch selbst. Und das ist es, was so schwer daran zu verstehen ist. Sie gewinnt jedesmal, wenn sie ihn dazu manipuliert, sie nicht anzugreifen. Sie gewinnt jedesmal, wenn er eine Handlung aufnimmt, und versucht, seine immer größer werdende Schuld ihr gegenüber abzubauen. Sie gewinnt, weil sie lernt, dass sie nicht handlungsunfähig ist. Sie gewinnt, weil sie lernt, dass sie die Kontrolle übernehmen kann. Sie gewinnt, weil sie schlauer ist, als er.
Sie lässt ihn nur zum Schein gewinnen, in gewisser Weise, um ihn in Sicherheit zu wiegen. Ihr innerer Widerstand gegen ihn soll jederzeit aufrecht erhalten werden (das zeigt sich zum Beispiel in den Mantras, die sie im Kopf aufsagen soll, wenn sie in der konkreten Situation ist, in der sie angegriffen wird: "Du hast keine Macht mehr über mich...ich lasse mich nicht mehr auf dein armseliges Niveau herab...du machst mir keine Angst mehr"
Leider bekommt Laurie es noch nicht hin, aus ihren wahren Gefühlen ein Geheimnis zu machen. Sie zeigt äußerlich deutlich, dass die Angriffe Wirkung haben - auch wenn sie selbst dabei noch nicht mal in persona zu sehen ist. Statt ruhig auszuhalten, dass jemand vor ihr steht, und sich insgeheim königlich darüber zu amüsieren, wie sich der Angreifer mit wachsender Verwirrung an ihr die Zähne ausbeißt, versteckt sie sich. Sie zeigt, dass sie Angst hat. Sie darf nicht mehr zeigen, dass sie Angst hat, obwohl sie Angst hat. Und das geht nur, indem sie gezielt eine Körpersprache imitiert, die "ich habe keine Angst vor dir" aussagt. Schauspielern. Wenn sie dann merkt, dass sie die anderen damit täuschen kann, verliert sie ihre Angst vor ihnen tatsächlich. Und ohne Angst ist sie frei.
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gelöscht
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