Hilfe, meine Mutter ist seit Jahren ein Messie - wir kommen da alleine nicht mehr raus :(

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20.11.2020 23:30
#16
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Liebe Goldkatze,

Ich bin 58 Jahre alt - meine Mutter ist 80 Jahre alt - sie ist schon sehr lange Messie.
Auch ich habe ihr einmal helfen wollen und sie hat aggressiv reagiert.
Da habe ich verstanden, dass sie im Blick auf ihre gesammelten Gegenstände keine Hilfe möchte.

Auch bei ihr steht eine 3 1/2 Zimmerwohnung und zwei Keller voll, sodass es in der Wohnung nur noch einen Gang und drei Sitzplätze im Wohnzimmer gibt.

Mein Bruder ist 57 Jahre alt - bis zur Corona- Krise wohnte er noch in einem Zimmer dieser Wohnung. Er fährt seit Jahren nachts Taxi und will keine Ansteckungsgefahr sein, aber sobald diese Gefahr (wie auch immer) eingedämmt sein sollte, möchte er zurück in diese verwahrloste Wohnung, in der seit dem Einzug 1971 nichts mehr gemacht wurde.
Er kann sich nicht vorstellen woanders als in der Wohnung, in der er aufgewachsen ist, zu leben.

Mein Vater hat alles ertragen und ist seinen eigenen Interessen nachgegangen.
Im vergangenen Sommer ist er so hilfsbedürftig geworden, dass ich meine Eltern überreden konnte ein Wunschheim auszusuchen und ihn dort unter zu bringen.
Leider verstarb er sehr schnell im Oktober, obwohl er dort noch so gerne mit Rollator im angrenzenden Wald spazieren gegangen wäre.
Er hatte aber auch mehrere Krankheiten und es war gut, dass er nicht lange als Pflegefall im Bett lag - das hat er nie gewollt.

Nun beginnt meine Mutter viele Dinge zu entsorgen - teilweise stellt sie brauchbare Dinge separat in die Nähe der Abfallcontainer (dort verschwinden sie immer sehr schnell), teilweise entsorgt sie Dinge in den Müll.
Trotzdem wird sie es schwer schaffen, alles zu sortieren.

Als ich mich um die Versorgung meiner beiden Eltern kümmerte, weil mein Vater ins Heim ging, beantragte ich sofort gesetzliche Betreuer für beide.
Der Papierkram / Verwaltungsdinge für meine Eltern war extrem anstrengend für mich.

Als mein Vater starb und meine Mutter eine gute Witwenrente in Aussicht hatte, versuchte ich sie weiter zu überreden, dass sie eine inzwischen vom Betreuungsgericht vorgeschlagene, sympathische und gut ausgebildete berufliche Betreuerin akzeptieren würde. Sowohl mein Bruder als auch meine Mutter blieben skeptisch und werden wahrscheinlich ablehnen.
Mein Bruder ist intelligent und guten willens, alle Verwaltungsdinge meiner Mutter in Zukunft zu übernehmen, aber seelisch nicht belastbar aus der bisherigen Erfahrung.

Nun habe ich alle meine Vollmachten, die ich mir im Sommer von meinen Eltern unterschreiben ließ, widerrufen und werde nur noch beratend aktiv sein.
Ich werde meine Mutter ab und zu anrufen und besuchen und auch zu meinem Bruder werde ich einen normalen Kontakt halten.

Ich werde aber null Verantwortung übernehmen für alles, was jetzt noch passiert.

Viele Verwaltungsdinge sind noch voll am Laufen - das ist sehr viel Arbeit und wenn meine Mutter Probleme mit der Wohnungsgenossenschaft bekommt oder hilfsbedürftig wird, werde ich beiden nur Ratschläge geben, wenn sie es möchten, aber ich werde mich ansonsten um mein eigenes Lebensglück kümmern.

Das ist schwer, aber ich habe verstanden, dass unsere Familie total miteinander verstrickt ist, statt dass jeder sein Leben lebt.
Das ist zerstörend. Das hilft niemandem.
Ich habe volles Verständnis dafür, dass meine Mutter so lebt wie sie lebt, denn sie hat nie erlebt, was Liebe ist. Selbstliebe kennt sie nicht - Liebe kennt sie nicht.
Sie kennt nur, dass sie dauerbeschäftigt ist mit Verpflichtungen oder mit ihren strengen Glaubensvorstellungen/ Bibel lesen / beten oder mit aktiver Fürsorge für andere.

Dafür kann ich aber nichts und es macht keinen Sinn, dass ich mein Lebensglück opfere, damit sie immer das von mir bekommt, was sie sich vorstellt.
Ich habe schon immer Schuldgefühle gehabt mein eigenes Leben zu leben und glücklicher zu sein als meine Eltern - damit ist jetzt Schluss.

Das Schöne dabei ist: Erst seitdem ich mir selber Lebensglück zugestehe trotz Leid meiner Familie, kann ich meiner Mutter und meinem Bruder wieder positiv begegnen. Als ich noch deren Verantwortung übernahm und um sie kämpfte, empfand ich oft Wut gegen sie und wollte nur noch weit weg.

Ich wohne ca 1 Stunde entfernt in einer sehr schönen kleinen Stadt mit ganz viel Natur in einer wunderschönen kleinen Wohnung - das hilft mir einen gesunden Abstand zu leben.

Ich glaube, dass viele Kämpfe und Anstrengungen um Messie- Angehörige oft mit dem Gefühl einhergehen, dass man sich für sie verantwortlich hält und sich kein glückliches eigenes Leben zugestehen mag, wenn es den Messie - Angehörigen aus eigener Sicht doch so schlecht geht.

Man kann diese Angehörigen lieb haben und auch Verständnis für sie haben ohne ihnen ihre Verantwortung für sich selbst abzunehmen.
Ich habe kein Recht das Leben meiner Mutter zu bewerten, aber sie hat auch kein Recht von mir die Aufopferung meines eigenen Lebensglücks zu erwarten.

Übrigens: gesetzliche Betreuer können wirklich eine große Hilfe sein und als Angehöriger kann man Einfluss darauf nehmen, ob ein Vorschlag eines Betreuers akzeptiert wird oder ob um einen anderen Betreuer gebeten wird. Sie bevormunden niemanden und man kann mit ihnen vereinbaren, in welchen Dingen sie unterstützen und in welchen Dingen nicht. Auch kann man beantragen, dass eine Betreuung ganz beendet wird, wenn zB kein Bedarf mehr bestehen sollte aus irgendeinem Grund.
Und im Fall meiner Mutter mit einer Witwenrente von 1900,-€ Netto, braucht sie nichts dafür zu bezahlen, es sei denn sie hat ein Sparvermögen von über 5000,-€.

Ich schreibe deswegen so persönliche Details, da ich im Fall von Hilfsbedürftigkeit von Messies Mut machen möchte, dass Angehörige sich über diesen Weg entlasten und eine gesunde Distanz entwickeln können. Es ist nie gesund, jemandem seine eigene Verantwortung abzunehmen - da ist es gesünder Alternativ- Vorschläge zu machen und ganz klar Grenzen aufzuzeigen. Dann hat man wieder Kraft einen liebevollen Kontakt leben zu können, falls "der Messie" sich nicht selbst enttäuscht abwendet.

Ich hoffe, dass dich mein Familienbeispiel ein wenig tröstet und dich vielleicht auch inspiriert. Alles Gute wünsche ich dir und deiner Familie!!!


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21.11.2020 00:24
#17
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Danke, liebe @Sternschnuppe für deine berührende Geschichte! Du sprichst mir aus der Seele; ich werde deinen schönen Text sicher noch oft lesen, wenn ich wegen meiner Angehörigen Mal wieder ratlos bin...
Danke für diesen wertvollen Beitrag.
Liebe Grüße,
Cinderella


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21.11.2020 10:51
avatar  Wolfram
#18
Wo
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danke @Sternschnuppe
Ich kann ja hier nicht den Bedanken Button klicken. Zu der Betreuung will ich hier nichts schreiben, weil ich das für politisch halte. Da habe ich eine andere Meinung, die ich aus den Erfahrungen von Betroffenen aus Fernsehsendungen habe.

@Bronwen
dann weißt Du jetzt auch, warum ich Messie bin. Meine Eltern wünschten sich eine Tochter, und dann kam ich.

viele Grüße
Wolfram


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21.11.2020 12:35
#19
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Hallo Wolfram,
danke für deine Rückmeldung.
zu dem Thema gesetzliche Betreuung, denke ich: so wie es kranke Therapeuten gibt, die eigentlich helfen sollen / wollen. So gibt es auch bei gesetzlichen Betreuern schwarze Schafe. Vielleicht kann ich später mehr berichten, falls meine Mutter der vorgeschlagenen Betreuerin tatsächlich ihr Vertrauen schenken sollte.

Letztlich bleibt es jedoch dabei, dass meine Mutter (und mein Bruder) zu sehr in ihrer eigenen Welt leben, als dass ich mich effektiv und aktiv für sie einsetzen kann.
Jede Alternative ist es Wert in Betracht zu ziehen, statt seine eigene seelische Gesundheit zu opfern.

Zu deiner Situation :
Ich habe Anwandlungen von Messietum, aber nur ansatzweise. Bei mir herrscht ein unnötiges Zuviel an Dingen, sowie Unordnung und mangelnde Sauberkeit.
In Situationen, in denen ich Besuch erwarte oder die jährlichen "Rauchmelder- Checker", kann ich relativ schnell Ordnung und Sauberkeit herstellen.

Gerade im vergangenen Frühling/ Sommer hatte ich einen Online-Kursus "in 66 Tagen Gewohnheiten ändern" gemacht, weil ich endlich diesen Zustand verändern wollte.
Da es in diesem Kursus auch um die eigene Persönlichkeit ging, also um Motive für schlechte Gewohnheiten / gute Gewohnheiten, fand ich für mich heraus, dass meine Messie- Anwandlungen für meinen inneren Protest gegen die "kranke Familie" und meine Verstrickung mit ihr standen. Auch mit zu viel ungesundem Essen / Süßigkeiten versuchte ich meine schlechten Gefühle zu kompensieren.

Seitdem ich mich danach im Spätsommer einerseits sehr ins Zeug gelegt hatte eine gute Versorgung für meinen geliebten Vater zu organisieren und ich später nach seinem Tod im Herbst weiter eine gute Versorgung meiner Mutter versuchte zu organisieren, scheiterte ich an ihrem und meines Bruders Widerstand mit unrealistischen Wünschen.

Ich sah im Jahr 2020 M E I N J A H R trotz Corona und Eltern - ich wuchs an den Herausforderungen. Ich erlebte wie stark ich sein konnte und wie ich mich weiter entwickelt habe. Ich habe endgültig verstanden, dass ich für niemanden verantwortlich bin als für mich selbst. Der innere Kampf um die eigene Daseins- und Glücksberechtigung ist vorbei. Meine Antennen sind nun gesund auf mich selbst gerichtet, statt im Außen - immer bei den anderen.
Ich muss mich gegen niemanden mehr wehren, der meine Grenzen überrennt. Auf meiner Stirn steht keine Einladung mehr, dass andere unglückliche Menschen mich gerne benutzen dürfen.
Auf meiner Stirn steht nun: Ich sorge für mich- mir geht es gut - du darfst mich gerne fragen, wie du für dich selbst Verantwortung übernehmen kannst - für alle(s) andere ist Zutritt verboten.
Nun habe ich keinen Grund mehr mein Zuhause verloddern zu lassen, weil ich durch innere Kämpfe mich selber boykottiere. Ich muss keinen Frust mehr durch Schokolade oder Fastfood kompensieren, weil ich Freude daran habe mein Leben wieder lebendig und interessant zu gestalten. Mein Zuhause wird genauso aufblühen wie meine Seele.

Zumindest bin ich auf dem besten Weg dahin. Das zählt.

Hatte ich dich richtig verstanden, dass du dein Messietum als Last empfindest? Und dass du den Eindruck hast, dass es mit dem Wunsch deiner Eltern nach einer Tochter zu tun hat (und du bist ja leider nur ein Sohn) ?

Wie Eltern ihren Kindern den Start ins Leben schwer machen können, ist die eine Seite vieler Biographien. Wie man sich selbst dadurch boykottieren kann, ist eine weitere Seite vieler Biographien. Wie man die Verstrickung entwirrt und aus diesem Selbstboykott aussteigt ist die Befreiung weniger Biographien.

Ich denke, dass die meisten Messies dieses Forums eigentlich aussteigen möchten. Das alleine ist ein großes Geschenk, denn wer sich auf den Weg macht auszusteigen, gehört zu den wenigen Menschen, die überhaupt bemerkt haben, dass sie sich selber boykottieren - das empfinde ich.

Und durch das Zusammentragen aller Erfahrungen kann jeder seine eigene Entwirrung finden. Erst nach einer Entwirrung der inneren Konflikte kann man im Außen etwas dauerhaft verändern - so erlebe ich es.

Alles Gute wünsche ich dir, Wolfram, und dass du herausfindest aus der inneren Not als ein nicht gewolltes Kind geboren worden zu sein und so bis heute als nicht gewollt gelebt zu haben. Liebe Grüße von Sternschnuppe


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26.11.2020 07:04
#20
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Hallo Rainbow- Cloud,

vielen Dank für deine hilfreichen Tipps, einen Tipp möchte ich aus eigener Erfahrung mit meiner Mutter noch ergänzen:

Seit ich innerlich beschlossen hatte, mich überhaupt nicht mehr daran stören zu wollen, dass in ihrer Wohnung nur noch ein schmaler Gang und drei Sitzplätze im Wohnzimmer übrig ist, entspannte sie sich merklich.

Meiner Mutter ist 80 Jahre alt - vor ein paar Jahren lehnte sie meinen Besuch als Tochter generell ab. Sogar am Muttertag als ich ihr einen Blumenstrauß gekauft hatte und anrief, meinte sie: Nein, lass man - ich möchte keinen Besuch. Das hat mich an dem Tag sehr getroffen. Mein damaliger Partner sagte aber zu mir: "Du fährst da jetzt hin!" Er sah wie ich litt und glaubte, dass meine Mutter sich doch freuen würde. So war es dann auch.
Vor 1 1/2 Jahren ermutigte mich die Entspannung meiner Mutter zu immer weiteren Besuchen. Inzwischen sind Besuche kein Thema mehr - sie freut sich wirklich, wenn ich mich ankündige. Für die Situation, dass sie verstirbt, habe ich mir vorgenommen ein Entrümpelungsunternehmen mit Sortierung (brauchbare Gegenstände an Bedürftige heraus sortieren) zu organisieren. Meine Mutter spürt, dass ich wirklich sie besuche und nicht auf irgendetwas dränge oder den Zustand der Wohnung oder sie kritisiere / sie ändern will. Das ist ein Geschenk für mich und wird mir helfen Abschied zu nehmen, wenn sie irgendwann von uns geht.
Niemand mag das Gefühl Besuch zu bekommen, der dann die Gelegenheit nutzt mich verändern zu wollen. Ansprechen sollte man das Thema der Verwahrlosung, aber wenn der Messie signalisiert, dass er / sie sich überfordert fühlt, sollte man sich überlegen, ob einem an diese Person etwas liegt, dass man sie gerne besucht oder ob man jedes Mal innerlich die Krise kriegt - das spürt der Messie und verschließt sich irgendwann jedem Besuch.

Das ist leichter gesagt als getan und hat wieder mit gesunder Abgrenzung zu tun - gesunde Abgrenzung musste ich mühsam lernen, aber inzwischen erlebe ich viele gute Gefühle als aufgehende Saat aller Mühe.
Viele liebe Grüße von Sternschnuppe


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