Liebe Cuvee,
gut möglich, dass du meine Antwort gar nicht mehr liest oder du das Problem deiner Mama längst mit anderen Augen siehst und gar keine Hilfe mehr brauchst. Aber als ich deinen Beitrag gelesen habe, habe ich unwillkürlich an meine eigene Mama denken müssen. Es gibt viele Ähnlichkeiten zwischen ihnen, aber auch Dinge, die abweichen. Auch ich habe vor etwa einem Jahr in diesem Forum Hilfe gesucht bzw einfach mal alles loswerden wollen, was mich so belastet. Nun kann ich dir auch heute nicht sagen, wie man Probleme der anderen in Luft auflöst, aber ich kann dir verraten, wie ich damit umgehe und wie ich gemerkt habe, dass alles, wovor ich solche Angst hatte, am Ende gar nicht so grauenvoll war, wie ich immer geglaubt habe.
Zunächst kommen mir zahlreiche Schilderungen sehr bekannt vor. Angefangen vom Stapeln der Zeitschriften, Kataloge und der Klamotten bis hin zu den Entschuldigungen beim Besuch von Freunden und die Scham dahinter. Auch bei meiner Mutter erreichte das seinen traurigen Höhepunkt, als ich eine eigene Wohnung bezogen habe und sie dann alleine mit sich war.
Nun, meine größte Angst war immer, dass "es" öffentlich werden könnte. Den Nachbarn ist ja schon lange klar, dass bei uns was nicht stimmt, das weiß ich und ich habe es immer wie eine Last mit mir rumgetragen, weil ich mich so geschämt habe und gleichzeitig meine Mutter nicht so dastehen lassen wollte, sie besteht doch aus so viel mehr als nur aus dem Chaos in ihrer Wohnung und in ihr drin. Es hat mich so gequält, wenn ich darüber nachgedacht habe. Ich dachte immer, was ist, wenn mal jemand in die Wohnung MUSS, z. B. wegen einem akuten Notfall wie ein Wasserrohrbruch... Tatsächlich trat letztes Jahr mein persönlicher Worst Case ein: Meine Mutter hat sich entschieden, ihren Teil des Hauses (das beinhaltet ihre, meine ehemalige und zwei weitere Wohnungen im Haus, eine Einliegerwohnung und das gesamte Grundstück) zu verkaufen. Als ich das erfahren habe, war mein erster Gedanke: Oh Gott, wenn das jetzt die Interessenten sehen, dann ist es aus! Am Tag als der Gutachter kam, war ich dann auch hier und war so enttäuscht darüber, dass sich nicht viel getan hat. Ich habe gehofft, dass sie wenigstens grob Ordnung schafft, aber sie hat sich darauf beschränkt, einen Weg durch den Müll zu bahnen, sodass die Leute durchlaufen können. Und dann hats bei mir irgendwie Klick gemacht. Eigentlich wollte ich da nicht dabei sein, ich wollte die entsetzten Gesichter der Gutachter nicht sehen. Doch dann dachte ich mir, ok, jetzt ist es mir eben egal. In meinem Kopf habe ich mir das immer so vorgestellt, dass die Leute schockiert auf dem Absatz kehrtmachen, durch die Nachbarschaft flüchten und den Zustand jedem haarklein schildern, am besten noch einen Artikel in der Zeitung erscheinen lassen, überzogen gesagt ;) Tatsächlich hat der Gutachter und die beiden anderen Männer, die dabei waren, nicht eine Miene verzogen. Was sie sich gedacht haben, wird was anderes sein, aber sie waren höflich und gingen die Sache pragmatisch an, was muss, das muss, sozusagen. Am Ende haben sie meiner Mutter sogar noch ein Kompliment gemacht, weil sie auf ein von ihr gemaltes Gemälde aufmerksam wurden, das an der Wand hängt und sie wirklich sehr talentiert ist.
Klar, du fragst dich jetzt sicher, was dir diese Geschichte bringt? Was ich dir sagen möchte ist... Du kannst es nicht halten! Verstehst du? Du kannst dir entweder, so wie ich es getan habe, einen Kopf darüber machen und ständig wieder auf Granit beißen, oder dir selbst sagen, das eine ist meine Mutter, die ich liebe, auch wenn wir hin und wieder nicht die gleiche Meinung haben, das andere ist ihr entgleistes Leben. Die Abgründe, die die beiden dazu bewegt, sich so zu verhalten, wie sie es tun, die kennen wir nicht oder wir erahnen sie nur. Du hast Hilfe angeboten und du machst dir Sorgen, das mache ich auch, immernoch! Mir tut es weh, sie so zu sehen, mir tut es weh zu wissen, wie böse andere Menschen vielleicht über sie denken. Aber ich habe mir jetzt angewöhnt zu sagen, bis hier hin und nicht weiter. Letztlich muss sie den Schritt wagen und sich Hilfe suchen und alles umkrempeln - oder eben nicht.
Deine Angst bezüglich deiner zukünftigen Kinder verstehe ich. Ich habe eine ältere Schwester, die drei Töchter hat. Und ihre Mädels lieben ihre Oma und sind gerne bei ihr zu Besuch. Die Älteste kapiert zwar inzwischen, dass bei der Oma was anders ist und redet da auch ganz offen mit uns, sogar mit meiner Mutter selbst. Meine Mutter und meine Schwester, die natürlich auch nicht komplett Rücksicht auf unsere Mutter nehmen kann, immerhin gehts um ihre Kinder - haben sich darauf geeinigt, dass das Zimmer, in dem die Kinder auch mal übernachten, immer in Ordnung gehalten wird. Da steht ein Bettchen drin, das stets frisch überzogen wird, der Raum wird täglich gelüftet und immer gewischt, gesaugt etc. Und das klappt! Gekocht wird dann in meiner ehemaligen Küche, die sie, seltsamerweise, immer blitzblank gehalten hat. Wenn ich mal übers WE dort war und in meiner alten Wohnung übernachtet habe, war immer alles frisch und sauber, obwohl sie die Räume oft benutzt. Du siehst also, selbst wenn sich deine Mutter nicht mehr ändert, dann muss das dennoch nicht bedeuten, dass du sie als Oma nicht in euer Leben einbinden darfst. Es gibt Wege und bei meiner Mama ist das nicht weniger aussichtslos.
Ich hoffe du liest meine Antwort und es gibt dir ein bisschen Kraft. Auf jeden Fall alles Liebe und Gute für dich und deine Mutter!