Liebe Kayla,
das, was Du so über Deinen Vater schreibst, trifft auch ganz doll auf meinen Vater zu. Einzelkind- Mutter hat immer hinter ihm hergeräumt und war selbst sehr penibel- von der Ehefrau wird das auch erwartet- superintelligent- nach außen immer tiptop- gesegneter Handwerker, der alles pedantisch genau ausführt. Ich vermute, der Tod meiner Oma, (seiner Mutter), die ihn abgöttisch geliebt und verwöhnt hat, hat diese Krankheit bei ihm ausgelöst. Wahrscheinlich ist diese Generation im Großen und Ganzen so erzogen worden, daß es solche Leiden, die nicht körperlich sichtbar waren, nicht gibt, bzw. nicht geben durfte. Da möchte ich auch nicht daran herummeckern, es bestürzt mich nur so, daß mein Vater während seiner depressiven Phase so redselig war, er hat uns immer seine Gefühle geschildert, auch mal geweint, was er vorher und auch jetzt nicht oder nie wieder getan hat. Wie kann man sein ganzes Wesen so kurzfristig umkrempeln ? Im Grunde genommen tut er mir sehr leid, daß er so leben muß und manchmal bin ich auch wütend darüber, aber das hilft ja niemandem weiter.
Ich weiß nicht, ob ich das richtig sehe, aber vielleicht kann man diese Krankheit besser akzeptieren, wenn man selbst aus einem Messiehaushalt stammt oder schon in der Kindheit Angehörige hatte, die so gelebt haben. Da ist einem das vielleicht nicht mehr so fremd. Aber das jetzt das erste Mal von seinen nächsten Angehörigen so erleben, das ist schon hart.
Mit meiner Mutter richtig umzugehen, ist momentan auch ein großes Problem. Sie hatte durch ihre viele Krankheiten in den letzten Jahren schon mehrere Kuren, die letzte im Frühjahr, sie würde sich nicht dazu überreden lassen, wen sie wüßte, daß mein Vater sich selbst überlassen bleibt. Wir haben ihr schon etliche Male vorgeschlagen, wir fahren sie für ein paar Wochen zu Verwandten, daß sie mal ausspannen kann, aber es führt kein Weg dahin. Eben aus diesen von Dir angesprochenen Gründen, daß die Wohnung hinterher total vermüllt ist und sie "ihre Räume" auch komplett verwüstet vorfindet.
Wir haben ihr auch schon vorgeschlagen, meinen Vater mal vor vollendete Tatsachen zu stellen und ihm mit Auszug zu drohen, ohne das irgend jemand sich danach um ihn kümmert, aber bei dem Vorschlag ist es geblieben. Ich glaube, meine Mutter hat noch einen sehr langen Weg vor sich, das alles richtig zu begreifen, vielleicht lebt sie auch gar nicht mehr so lange, dies jemals richtig einzuordnen, so hart das auch klingt und so schmerzlich das für mich ist. Manchmal habe ich auch schon gedacht, es wäre besser, mein Vater würde sterben, damit sie noch ein wenig Lebensqualität geniesen kann, aber dafür schäme ich mich auch sehr. Natürlich wünsche ich meinem Vater das nicht wirklich, ich liebe ihn ja auch. Also hofft man weiter auf ein Wunder.
Liebes Mausohr,
da ist etwas Wahres dran an dem, was Du schreibst.
Ich finde es auch nicht passend, wenn man als Tochter in der Beziehung seiner Eltern rumpfuschen muß und schlichten und beruhigen und trösten ......und und und. Manchmal komme ich mir vor wie in einer Kindertagesstätte. Manchmal möchte ich beide anschreien, sie sollen doch endlich aufwachen und die restliche Zeit, die ihnen noch bleibt, genießen. Manchmal denke ich auch, meine Mutter soll doch meinen Vater machen lassen, es akzeptieren, wie es ist und es sich im Rest des von ihr bewohnten Hauses schön machen. Oder endlich einen Schlußstrich ziehen, damit wir als Töchter auch wieder zur Ruhe kommen können.