erwachsenen Sohn rauswerfen?

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24.02.2015 06:55
#11
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Oh mannomann, ich weiß echt nicht, wie ich das aushalten soll... Am Sonntag hatten wir ja die Situation, dass unser Sohn zuerst uns mit Selbstmorddrohungen erpresst hat. Wir konnten zum Glück seinen früheren Therapeuten, der uns vom Jugendamt aus vor ein paar Jahren sehr gut betreut hatte und unsere Situation und das Verhalten unseres Sohnes sehr gut kennt, erreichen. Auch er war in Sorge, dass unser Sohn die Drohung in die Tat umsetzen könnte. Wir waren schon kurz davor, unseren Sohn deswegen zu seinem eigenen Schutz in die Psychiatrie zu bringen, aber nachdem wir ihn aus seinem Auto zurück ins Haus geholt hatten, war im Bruchteil einer Sekunde für ihn die Welt wieder in Ordnung. Wir konnten sogar vernünftig miteinander reden, dafür hatte er ja schon seit fast einem Jahr keine Lust/Bock/Zeit mehr.... Er gab uns auch völlig Recht, dass die Freundin ihn in seinem Leben nicht vorwärts bringen kann und er wollte unbedingt mit ihr Schluss machen. Aber schon gestern Abend war alles wieder anders, ein pausenloses Hin- und Her. Heute morgen musste ich wieder mit anhören, wie er ihr lautstarke Sprachnachrichten geschickt hat, den Inhalt und die Gossensprache möchte ich echt nicht wiederholen... Es zerreißt mir echt das Herz, ich bin wieder so weit, dass ich mich auch im Job schwer konzentrieren kann. Früher nannte man dieses Verhalten glaube ich manisch-depressiv, heute bipolare Störung. Aber es ist und bleibt immer das gleiche, da er erwachsen ist uns sich nur immer von demjenigen beeinflussen lässt, der ihm in diesem Moment gerade am Nächsten ist und ich nicht 24 Stunden am Tag auf ihn aufpassen kann, kann ich nichts machen. Ich werde nur heute noch versuchen, unseren Hausarzt zu erreichen, vielleicht weiß der noch einen Rat.


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24.02.2015 07:54
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#12
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Um das aushalten zu können, gibt es eigentlich nur eines: Auf Abstand zu gehen. Das ist jetzt kein Pro-Argument für eine Rauswurf, sondern ich meine mehr, emotional auf Abstand zu gehen. Das fällt dir vermutlich sehr schwer, denn soweit ich es rauslese, hast du nur gelernt, den Moment, in dem die Situation eskaliert, sehr lange durch ein entsprechendes Übermaß an Geduld herauszuschieben. So hast du beschrieben, dass du ruhig geblieben bist, als A im Haus kaputt war, und auch noch als B im Haus kaputt war, und du konntest es auch hinnehmen, als du mit C konfrontiert wurdest, aber bei D oder E oder F war dein Maß voll - und die unterdrückten Emotionen platzten heraus.
Das ist nicht das unterbrechen eines Musters, sondern nur das hinauszögern. Entscheidend, ist die Reaktion selbst zu verändern, von eskalativ in deeskalativ. Nicht, obwohl es einem gegen den Strich geht, sondern ganz besonders und gerade weil es einem gegen den Strich geht. Denn nur so kann man etwas verändern, und dadurch langfristig erwirken, dass man diese Situation nicht mehr erleben muss.
Das liegt ganz einfach daran, dass der andere mit dieser Methode irgendeine Form von Erfolg erlebt. Welche Art von Erfolg ist aus der Ferne ganz schwer zu sagen. Es kann zum Beispiel sein, dass er dann weniger Arbeit hat, oder dass er genießt, dich zu dominieren, oder dass er deine Aufmerksamkeit erregen wollte (auch negative Aufmerksamkeit ist Aufmerksamkeit). Wenn das Erfolgserlebnis erst mit starker Verzögerung eintritt, lernt er, dich mit drastischeren Mitteln zu provozieren, und du daraufhin, das noch länger und geduldiger zu ertragen. Eine Möglichkeit des Unterbrechens kann es deshalb zum Beispiel sein, körperlich auf Abstand zu gehen. Also dich beispielsweise wegzugehen, bevor er es tut. Die eskalative Variante des Gesprächsabbruchs wäre, selbst irgendwas zu brüllen, die Tür zuzuknallen und mit heulendem Motor in der Nacht zu verschwinden. Deeskalativ wäre es, zu sagen: "Ich hab dich lieb, ich will mich nicht mit dir streiten, aber es fällt mir gerade schwer ruhig zu bleiben. Ich gehe jetzt ein bisschen spazieren, bis später."

Was sicher auch nicht schaden kann, wäre, dass du dir als Mensch, und dein Mann und du euch als Paar Möglichkeiten überlegt, kurzfristig wieder durchzuatmen. Ihr wart gerade im Urlaub, aber ich denke, der verlief relativ angespannt ab. Vielleicht könnt ihr euch darauf einigen, dass abwechselnd der eine auf euren Sohn "aufpasst", während der andere mal irgendwas für sich tut. Vielleicht könnt ihr euch auch bewusst dafür entscheiden, das Haus zu verlassen, und gemeinsam etwas zu unternehmen, wenn euer Sohn abwesend ist - statt etwa auf seine Rückkehr zu warten, und sich währenddessen in immer größeren Zorn über ihn hinein zu steigern.

Halte Ausschau nach Formulierungen in deinem Sprachgebrauch, die auf sich wiederholende Ereignisse (Muster oder Teufelskreise) hindeuten. Zum Beispiel "Ich hab ihm schon hundertmal gesagt...." oder "immer wieder muss ich..." oder "Je-des-mal, wenn....dann" oder "sowas macht er andauernd!" Hier gilt es, den möglichst genauen Ablauf zu rekonstruieren. Wer sagt was unter welchen Umständen, wer reagiert wie darauf, wie verläuft die Gegenreaktion, wodurch wird die Situation meist beendet. Je genauer man das erkennt, desto leichter findet man den Unterbrechungspunkt, um zu deeskalieren. Ich bin gern dabei behilflich.

Möglicherweise verbirgt sich sogar schon ein Muster in seiner Selbstmordandrohung, wenn er das schon öfters gemacht hat - oder es wird zu einem neuen Muster, wenn er das ab jetzt öfters macht. Oder auch in eurem Gespräch über die Freundin, wenn ihr das schon oft mit dem gleichen Ergebnis mit ihm geführt habt.






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25.02.2015 06:58
#13
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Hallo liebe Numi,
vielen Dank für deine Antwort. Ich denke, deine Vorstellung von den "Eskalationen" hier bei uns passt nicht so ganz zu unserer Situation. Zuerst ist es schwierig auf Abstand zu gehen, wenn schon immer der Abstand von Seiten unseres Sohnes einseitig gehalten wird. Wenn es ihm danach ist, dann verschwindet er wochenlang von zu Hause und entschuldigt sich, er hätte vergessen, sich zu melden, oder das Handy ist schuld oder er dachte, er hätte sich schon gemeldet. Dann haben wir zum Thema "unsere persönlichen Dinge" gehen weder ihn, noch seine Gäste etwas an, bzw. was von unseren Sachen definitiv kaputt gemacht wurde, war kein Anlass zu Eskalation. Sehr wohl aber für Enttäuschung, und das alleine haben wir zum Ausdruck gebracht, bis zum heutigen Tag auch in ruhigem Ton. Es ist vielmehr so, dass er während er seine Freizeit genießt, die Welt um sich völlig vergisst und keine Gedanken an Konsequenzen verschwendet.
Wenn du von Abstand nehmen sprichst, diese Methode wende ich schon lange an, körperliche Nähe gibt es seit der Zeit, nachdem er sich selbst mit 11 Monaten abgestillt hatte, so gut wie gar nicht, von seiner Seite aus. Er wollte das nie, also habe ich das akzeptiert. Wenn du schreibst, ich solle weggehen, bevor er es tut, er ist noch nie im Streit aus dem Haus, so was kam noch NIE vor. Er kann aber sehr wohl stundenlang diskutieren, und wenn wir uns darauf nicht einlassen, folgt er uns, bis wir ihn mit der Papagei-Schallplattenmethode zum Schweigen bringen "ich diskutiere jetzt nicht mehr weiter - ich diskutiere jetzt nicht mehr weiter - ich disk....." Da können schon bis zu 100 Wiederholungen nötig sein, aber meistens funktioniert es.
Als Paar sitzen wir im Normalfall nicht zu Hause und warten auf unseren Sohn. So lange er keinen Liebeskummer hat, machen wir uns nicht so große Sorgen, wir haben auch nichts dagegen, dass er seine Freizeit genießt. Deshalb brauchen wir als Paar auch keine Auszeit, es muss von uns niemand mehr auf unseren Sohn aufpassen, er kommt mit sich selbst und alleine auch prima klar. Wie schon geschildert, er kann prima kochen, waschen, putzen, aufräumen usw. wenn er alleine ist. Ich sage er kann, er tut es zwar meistens nicht, aber er kann. Aber sobald er mit seiner Freundin und/oder seinen Kumpels zusammen ist, dann kann er zu nichts NEIN sagen, und dann ist unser Eigentum in Gefahr. Als Paar nervt uns höchstens ein klein wenig, dass wir nicht wissen, wann Sohnemann mit Anhang zur Tür reinkommt. Gelegentlich genießen nämlich auch wir unsere Freiheit und laufen mal im Schlafanzug den ganzen Sonntag im Hause rum und sind nicht "Überraschungsgäste-tauglich".

Aber ich möchte gerne endlich einmal etwas positives berichten:
meine Arbeitskollegin, die das alles die letzten Tage mitbekommen hat, brachte mich auf die Idee, ich könnte doch mal den Kontakt zu den Eltern der Freundin suchen. Und genau das habe ich getan, weil ich immer mehr das Gefühl hatte, die beiden Teenies spielen uns Eltern gegeneinander aus. Und so hatte ich gestern Abend ein sehr angenehmes Telefonat von fast 45 Minuten mit dem Vater der Freundin unseres Juniors. Das hat sehr gut getan und mich in vielem sehr beruhigen können. Die nächsten Tage wollen wir Eltern uns mal auf einen Kaffee treffen und plaudern... So, aber nun muss ich mich fürs Büro fertig machen, mein Job ruft.
Bis bald

BellaDonna


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25.02.2015 12:52 (zuletzt bearbeitet: 25.02.2015 12:58)
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#14
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"Ich denke, deine Vorstellung von den "Eskalationen" hier bei uns passt nicht so ganz zu unserer Situation"

Doch, das tut sie. Als ich von Türenknallen schrieb, habe ich nicht gesagt oder gemeint, dass das bei euch so abläuft. Ich beschrieb zwei Möglichkeiten, sich einem Konflikt zu entziehen: Die eine Variante ist eskalativ (=sie steigert die Verschlechterung des Verhältnisses der beiden Konfliktparteien), die andere ist deeskalativ (die Situation wird zu einem friedvollen Ende gebracht, und das Abwenden einer Verschlechterung, mit der sonst in jedem Fall zu rechnen wäre, ist somit eine erste, kleine Verbesserung). Größere Verbesserungen erzielt man, wenn man das positiv motivierte, genaue Gegenteil von dem Verhalten finden und in die Tat umsetzen kann, das man bisher immer an den Tag gelegt hat.

Eskalation bedeutet Steigerung, Verdichtung oder auch Intensitätszunahme. Die Muster wiederholen sich z.B. schneller oder intensiver als zu der Zeit, als der Konflikt zum ersten Mal auftrat. Wenn das über einen sehr langen Zeitraum passiert, merkt man das nicht so ohne weiteres, weil man genug Zeit hat, sich daran zu gewöhnen - der Konflikt eskaliert also _schleichend_. Unter Umständen über Jahrzehnte, oder sein ganzes Leben lang, und das sogar in vielen Fällen von einer Seite vollkommen unbemerkt.
Wenn sich das Muster nicht unbedingt täglich abspielt, ist es schwerer zu erkennen, und wenn es sich in starken Variationen abspielt, erschwert das ebenfalls die Suche.
Oder auch, jemand hier im Forum hatte zum Beispiel das Problem, dass sie ihr Verhalten immer bei ganz unterschiedlichen Personen wiederholt hat, was es natürlich auch wahnsinnig schwer macht, zu entdecken, dass es überhaupt ein Muster gibt, weil die Situationen, in denen es auftritt, so stark variieren.

Was ist genau mit Muster gemeint?
Die abgekürzte Schreibweise für "Wiederholung immer gleicher Verhaltens-Muster".
Der Volksmund nennt das "Teufelskreise".

Du glaubst, dass man deshalb nicht sagen kann, dass die Situation bei euch eskaliert, weil du ja immer sehr ruhig und sehr beherrscht bleibst, weil keine Türen geknallt werden, oder weil niemand beschimpft wird. Darum geht es aber gar nicht. Das sind bloß sehr einfach zu erkennende - weil sehr extreme - Merkmale. Andere leicht zu erkennende Merkmale sind extreme Erschöpfungszustände, die man empfindet, wenn eine angespannte/extreme Situation vorbei ist.

Ich kann nur das sehen, was du mir zeigst. Dafür habe ich zwei Möglichkeiten: Ich kann lesen, was du sagst, und ich kann lesen, wie du es sagst.
Ich halte Ausschau nach im allgemeinen Sprachgebrauch versteckten Formulierungen, die darauf hinweisen, dass sehr wahrscheinlich sich wiederholende Verhaltensmuster im Spiel sind. Zum Beispiel:
"Ich habe ihm/ihr schon tausendmal gesagt", "Wir haben das in allen Variationen durch", "Ich habe mir den Mund fusselig geredet", "Immer wenn ich...dann reagiert er/sie mit xy [unmögliche Reaktion deiner Wahl einfügen]", "es wird immer schlimmer mit ihm/ihr", "ich halte es allmählich nicht mehr aus", "was habe ich nicht schon alles versucht", "ich bin mit meinem Latein am Ende", "ich bin völlig verzweifelt" "ich weiß nicht mehr, was ich (mit ihm/ihr) noch machen soll", und Ähnliches.

Du hast viele davon - oder sehr ähnliche - Formulierungen in deinen Text eingebaut. Aber während du dich auf die Situation konzentrierst, und dabei die Emotionen nachempfindest, die sie bei dir auslösen, suche ich bloß nach den Formulierungen. Nach dem Muster.

Dann versuche ich, das Muster auf die Grundform zu reduzieren.

"verlässt das Haus, schaltet das Handy aus, ist immer schwerer erreichbar, bleibt länger weg, hört nicht zu, es ist kein rankommen mehr an ihn, viele Leute haben versucht, ihn zu "knacken", und sind gescheitert" = Flucht. Ganz einfach Flucht. Egal, ob er körperlich flieht, oder sich geistig so tief in sein Inneres zurückzieht, dass die Außenwelt zu einem erträglichen Summen verblasst, ob er sich hinter dem PC verkriecht, oder im Hobbykeller, im Bad einschließt, sich die Finger in die Ohren steckt und "LALALA ich kann dich gar nicht hören!" ruft - das sind alles nur Variationen ein und desselben Verhaltensmusters: Flucht.
Und wenn man ihm alle Fluchtwege verbaut (wenig eskalativ: Handy weg, PC weg, Schlüssel weg, Auto weg... bis hin zu hoch eskalativ: therapeutische Einrichtung/"einsperren"), dann reagiert er auf die einzige ihm verbleibende Art und Weise: Er benimmt sich so, dass er RAUSGEWORFEN wird. Aus der Einrichtung wurde er rausgeworfen, und du denkst nun auch darüber nach, ihn rauszuwerfen

Du fragst, warum er sich so negativ verhält, warum er immer abhaut, warum er so bescheuerte Dinge macht, obwohl er anders könnte. Das kann ich dir nicht erklären, woher sollte ich das wissen? Aber ich glaube, ich weiß, warum er immer wieder zu euch ZURÜCK kommt. Warum er auf seine Weise immer wieder den Konflikt sucht, auf euch einredet, warum er euch zu Reaktionen provoziert - inzwischen zu irgendwelchen Reaktionen, Hauptsache, ihr reagiert überhaupt auf ihn: Weil ihr ihm etwas bedeutet. Weil er euch liebt. Weil er genauso verzweifelt ist, aber ebenso wenig die Hoffnung aufgeben will, wie du.
Weil er keine Ahnung hat, was er sonst tun soll.

Er kennt nur einen Unterbrecher für seine persönlichen Teufelskreise: Er haut ab.
Du kannst dich jetzt weiter daran kaputt machen, ihn irgendwie dazu zu bewegen, sich seinen Problemen zu stellen. Dann bist du mit ihm in seinem Teufelskreis gefangen, und du wirst mit ihm so lange weiter diesen Tanz aufführen, bis er sich vielleicht doch eines Tages ändert, oder du daran zerbrichst. Denn genau das ist es, was du gerade tust. Du reibst dich an dem Konflikt ganz leise und im Zeitlupentempo schleichend kaputt, womöglich schon fast genau so lange, wie er auf der Welt ist.

"ich wiederhole tausendmal, dass ich nicht diskutieren will, ziehe mich quer durch die Wohnung von ihm zurück, aber er verfolgt mich" = Das ist AUCH Flucht. Du fliehst bloß in einer anderen, gemäßigteren Variation als er. Aber dafür denkst du schon über die extremste Form von Flucht nach, die dir situativ bedingt möglich ist: Ihn rauszuwerfen.


Das aufs nüchternste herunter gebrochene Schema sieht also wie folgt aus:

Er will reden => Du fliehst.
Du willst reden => Er flieht.

Klar, dass bei euch keine Türen knallen, niemand geschlagen, angebrüllt oder beleidigt wird. Ihr flieht beide, lange BEVOR es dazu kommt. An dem Punkt, an dem eure Emotionalität euch zu überwältigen droht, und ihr fürchten müsst, etwas wirklich Schlimmes zu sagen oder zu tun, zieht ihr euch zurück, weil ihr die Sache nicht noch schlimmer machen wollt. Weil ihr Angst habt, den anderen endgültig zu verlieren. Dadurch UNTERbrecht ihr erfolgreich den Konflikt.

Der Unterbrecher "Flucht" funktioniert, um emotionalen Abstand zu gewinnen, wieder runterzukommen, durchzuatmen. Wenn aber weiter nichts an Veränderung geschieht, gewinnt man also nur eine Atempause, bis der Tanz von vorne aufgeführt wird. Der Teufelskreis muss nicht nur unter- sondern eben auch DURCH-brochen werden.
Also muss man diese Atempause - den Abstand voneinander - nutzen, um das Muster zu analysieren, und sich für das nächste Mal eine Verhaltensänderung zu überlegen, die man gezielt anwenden will, lange, lange bevor eine der beiden Konfliktparteien wieder das Weite suchen will.

Dieser Teufelskreis kann durchbrochen werden, indem du den Grund, warum er flieht, durchschaust, abstellst, und dadurch der Notwendigkeit seiner Flucht die Grundlage entziehst.
Wenn du den Grund nicht durchschauen kannst, musst du ihn zuerst herausfinden. Das geht nicht, wenn du selbst fliehst. Du musst also stehen bleiben, still sein, und zuhören. Du musst sehr wahrscheinlich versuchen, zwischen den Zeilen zu lesen, zwischen dem, was er dir sagt, was er dir zu sagen versucht, und was er tatsächlich meint. Denn wenn er einfach so in zwei Sätzen sagen könnte, was mit ihm los ist, dann hätte er das sicher schon getan. Dabei wird das größte Problem sein, dass dir deine eigenen Gefühle im Weg stehen. Schmerz, Enttäuschung, Wut, Angst vor dem, was du zu hören bekommen könntest. Angst vor Vorwürfen. Davor, dass er sagen könnte, dass er dich hasst oder dass du eine Scheiß-Mutter bist.

Du musst dich dafür wappnen, dass er so etwas sagt. Und du darfst nicht (verbal, natürlich) "zurückschlagen", egal wie weh es tut. Es gibt ein Gefühl, das dir dabei helfen kann. Es ist größer als die anderen alle zusammen, und auf dieses eine musst du dich konzentrieren, du musst daran festhalten, und dich darauf zurück besinnen, ganz egal was kommt: Deine Liebe als Mutter zu deinem Kind. Deinen tiefsten und innigsten Wunsch, ihn nicht für immer zu verlieren.
Es gibt nichts, absolut nichts, was ein Kind tun könnte, das die Liebe seiner Mutter für immer und vollständig zerstören kann. Auch wenn sie momentan unter tausend negativen Emotionen verschüttet ist, so ist sie immer noch da, und wenn du dich ihm wieder nähern willst, musst du diese Liebe stärken und "füttern", und nicht die anderen, hässlichen Emotionen, die euch auseinander bringen.

Wenn er dir also Dinge an den Kopf knallt, die weh tun, dann versuche, dich von Zorn, Selbstzweifel, Schmerz und Enttäuschung abzuwenden, und in ihm den bockigen, hormonüberladenen Teenager zu sehen, der es nicht besser weiß, seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Lobe ihn dafür, dass er nicht wieder abgehauen ist. Gib zurück: "Du kannst mir an den Kopf werfen, was du willst, aber es wird nichts daran ändern, dass ich dich über alles liebe." Auch wenn dir gerade danach zumute ist, etwas anderes zu sagen - es ist trotzdem nicht gelogen, es ist nicht unehrlich, das zu sagen. Es ist das Richtige, es ist ehrlich - bloß in einer Situation, in der dein Gegenüber niemals damit rechnen würde. Dadurch ist es ein Schritt in deinem neuen Tanz - und von diesem Tanz kennt er die Schrittfolge nicht. Er wird nicht wissen, wie er darauf reagieren soll, aber die gewohnte Reakion "Flucht" ist hierauf völlig sinnlos. Das ist der beste, deeskalative Unterbrecher, den ich mir für euch vorstellen kann. Ohne Notwendigkeit einer Flucht, und mit einer Mutter, die ihm signalisiert, dass sie bereit ist, ihm zuzuhören, ohne zu unterbrechen, ohne selbst zu fliehen, ohne zu kontern, die nicht "gefährlich ruhig" bleibt, bis sie platzt, sondern die wirklich WISSEN will, wie es in ihm aussieht, und deren Liebe unerschüttlich bleiben wird, egal, was er auch auf den Tisch packen wird - der kann er vielleicht endlich sagen, was mit ihm los ist.

Vielleicht auch nicht, und vielleicht (sehr wahrscheinlich sogar) musst du den alten Tanz erst vier oder fünfmal hintereinander auf die gleiche Weise unterbrechen, bevor er nicht mehr fliehen wird, und merkt, dass er dir vertrauen kann, dass du es wirklich ernst meinst mit deinem liebevollen Angebot. Dass es keine Falle ist, die letztlich doch wieder dazu führt, dass er flüchten "muss". Und das sollte die erste und wichtigste Antwort sein, die du herauszuhören versuchen musst: Wovor meint er, flüchten zu müssen? Wovor hat er Angst? Welchen Problemen kann er sich nicht stellen, und vor allem: warum nicht?
Ich habe KEINE Ahnung, WAS er dir sagen wird. Ich weiß nur, dass es unter Umständen sehr hart werden kann, weshalb du dich so gut wie möglich darauf vorbereiten musst, das emotional irgendwie aushalten zu können. Und er fürchtet sich davor, das, was auch immer es ist, auszusprechen, weil er es als so extrem empfindet, dass er bisher IMMER lieber abgehauen ist, als es auszusprechen. Vor dir, vor euch als Eltern, oder vor der ganzen Welt. Weil er panische Angst hat, oder weil er sich abgrundtief schämt, oder weil ihm vor negativen Reaktionen wie Zurückweisung, Schuldzuweisung etc wie die Hölle graut.
Deshalb ist logisch: WENN er aus seinem Schneckenhaus kommt, kann schon der kleinste Schnitzer bedeuten, dass er sich sofort wieder dorthin zurückzieht/flieht. Deshalb sagt man am besten einfach gar nichts, sondern hört so lange nur zu, bis man aufgefordert wird, etwas zu sagen. Falls es doch passiert, bleibt noch die deeskalative Möglichkeit, sich umgehend dafür zu entschuldigen, dass man in das gewohnte, kontraproduktive Muster verfallen ist. Das ist okay. Es ist schließlich für beide Seiten schwer, sich zu verändern.

Wenn es euch (nach ein paar Anläufen) gelingt, dieses Gespräch bis zum Ende zu führen, ohne dass wieder einer flieht, werdet ihr keine negativen Gefühle mehr haben, wie bei einem typischen Konfliktende, sondern solche wie Klarheit, Erleichterung, Befreiung, Verständnis, Einsicht, Hoffnung. Dann ist der Teufelskreis durchbrochen. Es besteht für keine Seite mehr die Notwendigkeit, ihn zu wiederholen. Und darauf könnt ihr dann euren zukünftigen Umgang miteinander aufbauen. Das ist also keine endgültige Lösung, sondern ein neuer Anfang.


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25.02.2015 21:12
#15
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Hallo liebe Numi, wie immer bringt mir deine Sichtweise von außen tolle neue Gedankenansätze. Das mit dem Teufelskreis ist wirklich interessant, ich versuche schon, Muster zu erkennen und auch schon (sogar mit erstem Erfolg) etwas daran zu verändern. So habe ich unsere Kommunikation auf ein Medium gesetzt, welches unserem Sohn sehr angenehm ist, über WhatsApp. Seit gestern nach seinem "Liebeskummer-Ausraster", bei dem er mit mit rein gezogen hat, "plaudern" wir sehr entspannt über Whatsapp. Da er mich gebeten hatte, ihm bei der Suche nach einem Therapeuten zu helfen, mit dem er seine Sorgen besprechen kann, habe ich das auch gemacht. Ich habe den Kontakt zwischen dem sozialpsycholologischen Dienst hergestellt, bei dem auch ich so gute Hilfe bekommen habe. Und er hat sich darüber sehr gefreut.
Was mir übrigends noch auf dem Herzen liegt, könnte man den Titel meines Beitrages ändern? Es ist nicht so, dass wir unseren Sohn rauswerfen wollen. Auch haben wir ihn nicht vor Jahren in eine Einrichtung geschickt, sondern ER wollte auf keinen Fall nach ebenfalls von ihm ausdrücklich gewünschten Aufenthalt in der Kinderpsychiatrie unbedingt in eine solche Einrichtung gehen. Und vom ersten bis zum letzten Tag wollte er dort bleiben, so lange er immer zu uns nach Hause kommen darf, wann immer er möchte. Uns darauf einzulassen war so wahnsinnig schwer und wir (Eltern und Geschwister) haben sehr darunter gelitten. Aber er hat sich in den drei Jahren dort ganz langsam stabilisiert, dass wir und damit arrangiert haben. Aber dort RAUSGEWORFEN wurde er vom JUGENDAMT da die zuständige Sachbearbeiterin (entgegen den Empfehlungen der Ärzte und Therapeuten!!!) keinen Bedarf für eine Fortführung des Therapie-Maßnahme gesehen hat. Das rauswerfen bei uns war vielmehr als Abgrenzung gemeint. Nach wie vor bin ich überzeugt, dass eine eigene kleine Bude, bei der wir ihm immer dann helfen können, wenn er uns darum bittet, eine gute Lösung wäre. So hätte er seinen eigenen Freiraum, wir aber eben auch. Aber leider bin ich in dieser Richtung noch nicht fündig geworden.
Mal sehen, was die nächsten Tage so passiert, aber gerade in diesem Moment habe ich ein deutlich besseres Gefühl als an dem furchtbaren vergangenen Sonntag...

Gute Nacht

BellaDonna


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