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Ein Freund von uns scheint Messie zu sein - ist es hilfreich, ihn direkt darauf anzusprechen?
#1
Ein Freund von uns wohnt in einer anderen Stadt, wir sehen ihn nur alle paar Monate mal und sind vielleicht 1-2 x/Jahr in seiner Wohnung. Jedes Mal ist es noch voller als vorher, ein Zimmer ist praktisch nicht mehr betretbar, im Schlafzimmer gibt es nur noch einen Pfad zum Bett, inzwischen vergammeln auch in der Küche und sonstwo Lebensmittel. Wir haben den Eindruck, dass es immer schlimmer geworden ist und man ihn inzwischen als Messie begreifen muss. Zunächst mal haben wir einiges dazu gelesen und dann mit Freunden gesprochen, die in derselben Stadt wie er wohnen und ihn häufiger sehen. Sie meinten, er sei doch schon immer so gewesen, vielleicht solle man mal Hilfe beim Aufräumen anbieten... Nach dem, was wir dazu gelesen haben, nutzt das nicht unbedingt was (wenn er sich überhaupt von was trennen kann, ist nur Platz für neuen Kram geschaffen). Eigentlich müsste er sich wohl therapeutische Hilfe holen, um den Ursachen auf die Spur zu kommen. Keine Ahnung, ob er sich selbst als Messie sieht. Sollen wir ihn mal direkt darauf ansprechen, obwohl wir aus der Entfernung heraus nicht viel praktische Unterstützung anbieten können? Was könnten wir sonst tun?
#2
Hallo Freundin-in-Sorge!
Zunächst mal freue ich mich, dass Du das bemerkst und nicht abfällig darüber urteilst.
Es wäre einen Versuch wert , ihn darauf anzusprechen, ob er Schwierigkeiten hat.
Musst aber mit Ablehnung rechnen.
Mit Druck erreichst Du nix, das verstärkt u.U. nur die Abwehrhaltung eures Freundes.
Vielleicht hat er,ohne es zu wissen, eine Depression ? Die sieht bei Männern oft anders aus als bei Frauen.
Doch die Antriebschwäche als Symptom dürfte bei beiden gleich sein.
Ich wünsche Dir Geduld und viel Kraft, mit anderen zusammen dem Freund zu helfen. Gut auch, wenn er nicht auf "Messie" reduziert wird.
Grüssele Mausohr
also dazu möchte ich mal folgendes sagen; stell dir vor du hast deine Wohnung nicht aufgeräumt, so dass es dir peinlich ist, Besucher reinzulassen. Stell dir dann vor wie du dich fühlen würdest, wenn dir das vor deinen Freunden (die immer eine saubere, ordentliche Wohnung vorweisen können) passiert, also wenn diese unangemeldet vor deiner Tür stehen und du sie nicht reinlassen kannst und willst, da dir der Zustand deiner Wohnung peinlich ist. Nun stell dir eine Verschlimmerung der Situation vor, wenn du zb krank bist und 2 Wochen alles stehen und liegen lassen müsstest.
Wie würdest du dich nun fühlen, wenn deine Freunde das Ausmaß deiner Unordnung sehen würden, und du das Gefühl bekommst, alles was du als Erklärung dazu sagst, hört sich wie eine Ausrede an?
Und wie würdest du dich fühlen wenn du dann auch noch wüsstest, dass der Zustand deiner Wohnung an sämtliche weiteren Freunde munter weitergetratscht wird?
Also ICH würde mich schrecklich dabei fühlen!
Ich würde nicht wollen, dass irgendwer irgendwas davon erfährt, vor allem nicht meine Freunde- denn diese verstehen die Situation nicht. Entweder rümpfen sie innerlich die Nase, weil sie einen tadellosen Haushalt führen, nicht selten mit Tendenz zum Putzzwang, also zur "Übersauberkeit." Dann fehlt ihnen schonmal jedes Verständnis. Zum anderen, selbst wenn sie wollten, sie können es nicht verstehen, wenn sie nicht selber betroffen sind.
Ganz schlimm ist es, wenn Freunde einem helfen wollen. Man schämt sich in Grund und Boden. Glaubst du allen ernstes, dass es schön ist, wenn ein Freund derart in die eigene Privatsphäre eindringt, und auf Deutsch gesagt, die ganze Sauerei sieht? Angefangen beim versifften Klo, bis hin zu Essensresten und sonstigem?
Wenn das passiert, ist es einem derart peinlich, dass man diesen Freunden anschliessend kaum noch unter die Augen treten mag. Es bleibt einfach immer was hängen. Man ist dann auf Lebenszeit derjenige, der "ein Problem mit der Sauberkeit" hat. Und selbst wenn man es schafft die Wohnung in den Griff zu kriegen, bleibt dieser Stempel an einem haften.
Und wenn man tatsächlich nur ab und zu Probleme mit seinem Haushalt hat, also kein Messie ist, sondern einfach nur nicht so sauber ist wie der Durchschnitt, oder sich die Phasen zwischen schmuddelig und steril extrem abwechseln, je nach emotionalem Zustand...., dann glaubt einem das auch niemand. Dann macht man sich nur was vor, selbst dann wenn man selbst ganz genau weiß, dass diese Woche beruflich und privat sehr stressig war, und deshalb alles stehen und liegen geblieben ist, man das dann am Wochenende aber wieder alles auf die Reihe kriegt. Das glaubt einem doch kein Mensch.
Ich kann nur aus Erfahrung sagen, ich habe noch nicht einen, nicht einen einzigen Freund gehabt, der auf meine Wohnung normal und gelassen reagiert hat. Ich habe keinen Müll auf dem Boden, ich habe nirgends Essensreste und kein versifftes Klo- ich bekomme meine Wohnung binnen 2 Stunden so hin, dass ich Gäste empfangen kann, und dennoch ist sie schmutziger als der Durchschnittshaushalt. Und da haben Freunde null Verständnis dafür, sagen einem ins Gesicht, dass man faul ist oder rümpfen die Nase- sie halten plötzlich weniger von einem. Das finde ich ganz schlimm.
Noch viel schlimmer ist jedoch eine andere Erfahrung, nämlich dass manche Freundschaften dann irgendwann auseinandergehen und diese ehemaligen Freunde tratschen dann meinen Wohnungszustand noch in der Gegend herum. So ist es durchaus schon 2mal vorgekommen, dass mir völlig fremde Menschen davon Kenntnis hatten, dass es bei mir so und so aussieht- und die stellen sich dann natürlich sonstwas darunter vor. Nicht bloß Staub und Flecken auf den Fliesen, sondern eine komplett unbewohnbare, versiffte Bude.
Ich kann natürlich nur für mich sprechen, für mich wäre das keine Hilfe, im Gegenteil. Ich würde mich vor meinen Freunden schämen und würde auf keinen Fall wollen, dass sie das wissen und in meinem Dreck herumwühlen.
Gold
Silber
Bronze
Medaille
Pokal
Hallo Freundin-in-Sorge,
ich kann gut verstehen, und finde es schön, dass du dich um deinen Freund sorgst, obwohl ihr euch nicht so nahe steht. Auch finde ich es gut, dass du dich vorher informierst, und nicht gleich mit der Tür ins Haus fällst. Instinktiv spürst du also, dass man dabei einiges verkehrt machen kann.
Eine pauschale Lösung für jedermann gibt es nicht. Offenheit ist generell eine gute Sache. Anzusprechen, dass einen etwas am anderen - extrem (!) - stört, kann für denjenigen durchaus ein Augenöffner sein, als Beispiel sei hier einmal mangelnde Körperhygiene genannt. Jemandem zu sagen, dass man sich wünscht, dass er duscht, bevor man mit ihm essen geht, ist sicher eine bessere Idee, als einfach nicht mehr mit ihm essen zu gehen. Es ist natürlich auch immer eine Frage des Takts. "Du stinkst, du Sau, wasch dich endlich mal!" kommt wahrscheinlich nicht so gut wie "Tut mir Leid, wenn ich dich damit jetzt vor den Kopf stoßen sollte, aber unter uns gesagt, du riechst öfters mal ziemlich intensiv, vielleicht fällt dir das selbst ja nicht so auf, aber anderen...als dein Freund möchte ich dir empfehlen, etwas an deinen Hygienegewohnheiten zu ändern, oder vielleicht mal zum Arzt zu gehen, wenn es daran nicht liegen kann."
Dir ist vielleicht der Einschub "extrem (!)" aufgefallen. Damit berühren wir nämlich die beiden wichtigen Themen Toleranz und Leidensdruck.
Toleranz, das ist das, worüber man als besorgter Freund/Angehöriger bei sich selbst anfangen sollte, nachzudenken. Es ist die Lebensentscheidung des anderen. Sie mag dir nicht gefallen, aber es ist seine Art zu leben. Andere Leute finden es "ekelhaft und unvorstellbar", wenn zwei Männer zusammenleben und Sex miteinander haben. Anderen ist das total egal. Auch eine verwahrloste, versiffte Wohnung kann eine solche Lebensentscheidung sein, die man "ekelhaft und unvorstellbar" finden mag - während andere sich daran überhaupt nicht stören, weil ihnen das einfach nicht wichtig ist. Um bei meinem Bespiel-Duschmuffel zu bleiben: Auch das kann eine Lebensentscheidung sein. Er findet sich waschen halt nicht so wichtig, es ist ihm egal, wenn er stinkt, und andere das riechen müssen. Dann "sollen die halt weg riechen".
Soll's geben. Und so soll's eben auch Leute geben, denen das rein gar nichts ausmacht, wenn der beste Kumpel mupft wie ein verwester Iltis. Is' halt so.
Der zweite Punkte, den ich ansprach, ist "Leidensdruck". Das ist das, was bei dem anderen vorhanden ist - oder eben nicht vorhanden ist. Bella beschrieb dir, wie Leidensdruck noch vervielfacht werden kann, wenn man sich vor anderen geoutet fühlt. Es ist aber genauso möglich, dass euer Freund gar keinen Leidensdruck empfindet, oder sich selbst konsequent davor verschließt, dass er sich so nicht wohl fühlt. Das ist vielleicht vergleichbar mit Leuten, die Adipositas haben, aber trotzdem steif und fest behaupten, dass sie sich in ihrem Körper pudelwohl fühlen. Nein, das kann man sich nicht vorstellen, ja, wenn sie abnehmen würden, würden sie sich erst wirklich richtig wohlfühlen - aber so lange sie auf diesem Standpunkt bleiben, besteht nicht die geringste Chance, dass sie abnehmen, nicht mal, wenn man ihnen ihre gesundheitlichen Probleme vortanzen würde. Der Duschmuffel, der findet, dass die anderen ja einfach wegriechen können, wäre das perfekte Beispiel für jemanden, der keinen Leidensdruck empfindet (oder zumindest sehr gut darin ist, diesen zu überspielen, vielleicht sogar vor sich selbst).
Wenn euer Freund keinen Leidensdruck bei seinem Lebensmodell empfindet, dann gibt es nichts zu helfen. Er hat dann einfach in seinen Augen kein Problem, das man in Angriff nehmen, geschweige denn, für das man sich Hilfe suchen müsste. Wenn es sich so verhält, dann landet das Problem wieder bei dir bzw euch (du sprichst ja von mehreren Personen, die sich sorgen), denn dann geht es um die Frage, wo eure Toleranz endet.
Duschmuffel-Beispiel: Ihm ist es egal, wenn er stinkt, und es ist ihm auch egal, wenn er "dir stinkt" - er könnte ja dir zuliebe seine Gewohnheiten anpassen, macht er nicht, dann muss er eben damit leben, dass du nicht mehr mit ihm essen gehst, wenn du den Geruch so unerträglich findest, dass du mit ihm auch einfach nicht mehr essen kannst.
Und wenn das jeder tut, der mit dem Körpergeruch nicht klarkommt, dann lebt er dadurch wohl sehr bald isoliert. Das ist aber _seine_ Entscheidung. Wenn du ihn über seinen Geruch im Unklaren lässt und immer Ausreden findest, warum du nicht mit ihm essen gehen willst, dann wäre es _deine_ Entscheidung, ihn zu isolieren.
Wenn du also irgendwie den Eindruck gewonnen hast, dass dein Freund unter seiner Lebenssituation leidet, dann sprich ihn an, biete Hilfe an. Mit allem gebotenen Respekt, ohne zu verurteilen, ohne Ekel oder Verachtung zu kommunizieren. Wenn du dir nicht sicher bist, dann versuche es doch mal vorsichtig, mit einem simplen, aber ehrlichen "Wie geht es dir? Fühlst du dich wohl? Du siehst irgendwie angeschlagen aus. Wenn du Probleme hast, egal was, dann kannst du immer zu mir kommen."
Wenn er seine Situation nicht als problematisch empfindet (oder dich nicht in seine Probleme einweihen will), bleibt nur noch die Frage übrig, wo für dich die Toleranz seiner Lebensweise aufhört.
Wahrscheinlich, wenn du persönlich betroffen bist.
Dann muss aber nicht er sich ändern, um deinem Lebensmodell zu genügen, sondern du solltest versuchen, einen Weg finden, wie du mit ihm umgehen kannst, ohne dich dem Teil von ihm aussetzen zu müssen, mit dem du nicht klarkommst.
Weniger abstrakt: Für eure 1-2-maligen Besuche im Jahr eine andere Übernachtungsmöglichkeit finden, euch nur außerhalb seiner Wohnung mit ihm treffen, aber - ganz wichtig - ihn über euer Motiv, nicht mehr bei ihm zu übernachten, nicht belügen (aber ohne grob zu werden).
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