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Ein Freund von uns scheint Messie zu sein - ist es hilfreich, ihn direkt darauf anzusprechen?
#6
Hallo Numi,
vielen Dank für Deine ausführliche und hilfreiche Antwort. Am wichtigsten finde ich die Überlegung, dass unser Freund vielleicht gar nicht so leidet, wie wir annehmen („in so einem Chaos kann man sich doch nicht wohlfühlen – wenn ihn das nicht stört, stimmt irgendwas nicht“). Er ist zwar nicht gerade glücklich, weil er auch erhebliche gesundheitliche Probleme hat, aber der Zustand der Wohnung scheint ihn nicht so zu belasten, immerhin empfängt er Freunde. Übernachten kann man allerdings schon lange kaum noch bei ihm, weil dafür einfach kein Platz mehr ist (und wir würden es auch gar nicht wollen, weil auch alles ziemlich dreckig ist - zum Glück haben wir in der Gegend noch andere Möglichkeiten).
Wegen der gesundheitlichen Probleme wird er aber über kurz oder lang eine andere Wohnung brauchen, die vermutlich kleiner als seine jetzige (für die Größe ziemlich billige) ausfallen muss. Wenn er sich dann von nichts trennen kann, könnte es dramatisch werden. Auch daher unsere Überlegung, ihn mal darauf anzusprechen in der Hoffnung, dass er mit therapeutischer Hilfe soweit kommen könnte, nicht mehr so viele Sachen horten zu müssen.
Und außerdem haben wir den Eindruck, dass er immer mehr den Überblick über die Lebensmittel verliert oder das nicht-wegwerfen-können immer mehr auch die Lebensmittel betrifft. Heere von Fruchtfliegen und reichlich Motten sind ja vielleicht nur lästig (für den, den es stört), aber Schimmel ist für jeden ungesund.
Ich denke, wir werden ihn vorsichtig darauf ansprechen, dass seine Wohnung auf uns den Eindruck macht, dass er ein Messie sein könnte und dass wir nicht aufräumen/ihm was wegnehmen wollen, sondern ihm raten zu überlegen, evtl. mal therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Gold
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Pokal
Wir hangeln uns momentan um Eventualitäten herum. Es fehlen einfach Informationen. Deshalb möchte ich vorsorglich darauf hinweisen, dass die Möglichkeit besteht, dass er auf euer Angebot mit Aggressivität oder Rückzug reagieren könnte, ganz egal, wie sorgfältig ihr euch eure Worte an ihn zurechtlegt. Das wäre dann so eine Art "Realitäts-Verdrängung", auf die du dich in dem Gespräch einstellen müsstest. Aggression oder Rückzug sind dann Schutzmechanismen, die er anwendet, um die Verdrängung aufrecht erhalten zu können. In dem Szenario seid ihr dann die Bösen, die "aus Mücken Elefanten machen", er schubst euch weg, und kann sich dann wieder ganz in diese Scheinwelt zurückziehen. Das ist wesentlich einfacher, als mit der Realität klarzukommen, dass man auf einer riesigen Müllkippe sitzt, von der man keine Ahnung hat, wie man sie je in den Griff bekommen soll.
Wenn jemand so mit seinen Problemen umgeht - du hast es so schön formuliert - dann wird es genau in den Situationen dramatisch, die du gerade auf ihn zukommen siehst. Wenn ein Umzug ansteht, ein Techniker oder der Vermieter in die Wohnung hinein muss, dann bricht natürlich Panik aus. Panik, Scham, eine Woge von Gefühlen, die genau dann wie mit einem Kübel über ihm ausgegossen wird, wenn er es am allerwenigsten gebrauchen kann, nämlich wenn es nur noch Tage (manchmal sogar nur Stunden) sind, bis die Realität gnadenlos über ihn hinweg rollen wird, und er nichts dringender bräuchte als einen kühlen Kopf und einen realistischen Lösungsansatz. Das ist dann oft der Moment, in dem Betroffene hier landen und sich outen - als Akt der reinen Verzweiflung, und man kann genau dann eigentlich schrecklicherweise am wenigsten tun, um sie zu unterstützen.
Eine noch extremere Form wäre die "totale Realitäts-Verleugnung", die selbst dann noch aufrecht erhalten wird, wenn Realität und Scheinwelt längst kollidiert sind - brutal gesagt, wenn der Seuchenschutz bereits in Vollmontur verfaulten Müll in Container schaufelt, während der Betroffene verärgert den Kopf darüber schüttelt, wie man bloß wegen einem bisschen Staub so einen Aufriss machen kann. Wir hatten hier mal vor einer Weile einen solchen Fall geschildert bekommen, wo ich den Eindruck gewann, dass dieses "Endstadium" eingetreten ist - bei einem älteren Mann, der sich wohl die Einstellung angeeignet hatte "Yes, I know it, but I ran out of fucks to give" (ja, weiß ich alles, aber ich hab nicht mal den feuchten Kehricht übrig, mich darum zu scheren). Der hätte vermutlich beim Eintreffen von besagtem Räumkommando erst mal ne Tasse Tee aufgebrüht und zugesehen, als hätte das alles gar nichts mit ihm zu tun. Da stellt sich für mich nicht mehr die Frage, wie, wann und mit welchen Mitteln man so jemandem helfen kann, sondern tatsächlich, ob er überhaupt Hilfe braucht. Seine Scheinwelt findet ausschließlich in seinem Kopf statt, und funktioniert so perfekt, dass man ihn dort doch eigentlich auch prima in Frieden lassen kann.
Der "Realitäts-Verdränger" hingegen ist vermutlich in genau der Drama-Situation, die du gern vermeiden würdest, am empfänglichsten für deine Hilfe. Hier ist er - meiner ganz persönlichen Ansicht und bisherigen Erfahrung nach - am ehesten bereit, sich zu outen und Hilfe anzunehmen. Vielleicht wäre es also einfach gut, wenn du ihm deutlich machen könntest, dass du in einem solchen Moment 100% für ihn da wärst, ohne ihn zu verurteilen, ohne dass er sich schämen müsste - und wenn du ihm dieses Angebot irgendwie machen kannst, ohne seine Schein-Realität zu bedrohen. Also wahrscheinlich allgemeiner, aber dennoch sehr deutlich und ernst formuliert - damit er sich in dem Moment der Panik hoffentlich daran erinnert, dass es jemanden gibt, der ihm bedingungslose Hilfe zugesichert hat, für den Fall, der jetzt gerade eingetreten ist. Für das Szenario ist es von Vorteil, wenn du den Kollisions-Moment relativ genau vorhersiehst, und nicht "im Lauf der nächsten Jahre irgendwann" - nicht um seinetwillen (Gesundheit etc), sondern um deinetwillen, denn wenn du so ein Versprechen gibst, dann musst du natürlich auch darauf vorbereitet sein, es einzulösen. Ich möchte dir auch sagen, dass eine solche Entrümpelung unter Umständen auch ganz ohne Gefühls-Achterbahn für Laien unlösbar sein kann. Ich habe selbst vor vielen Jahren einmal zugesagt, einer jungen Mutter zu helfen, ihre Wohnung "auf Vordermann" zu bringen. Es stellte sich heraus, dass es sich um einen wirklich extremen Fall von Verwahrlosung handelte, so, wie man das schon im TV gesehen hat. In der Wohnung war absolut nichts mehr zu retten, alles war vermodert, von Ungeziefer zerfressen oder von bestialischem Gestank durchdrungen. Langer Rede kurzer Sinn: Nach einigen Stunden erschöpfender Arbeit, nach der kaum ein nennenswertes Ergebnis erkennbar war (dafür aber die Gemeinschaftsmülltonnen unzumutbar überfüllt waren), mussten wir einsehen, dass wir drei Nasen dem nicht gewachsen sind. Also wenn du helfen willst, dann musst du dich auch mental darauf einstellen, das auf die eine oder andere Weise zu organisieren - denn wenn er das selbst könnte, dann hätte er es vermutlich längst getan.
Ich hoffe, das klingt jetzt nicht zu wirr, und hilft dir irgendwie weiter.
#8
Liebe Numi,
ich habe ihn inzwischen angerufen und darauf angesprochen. Er sieht sich bisher offenbar nicht als Messie: er hätte zur Zeit dringendere Sorgen, was die Gesundheit betrifft, da käme die Wohnung halt zu kurz, und besonders ordentlich sei er ja noch nie gewesen. Ich habe versucht rüberzubringen, dass es unserem Eindruck nach in den letzten Jahren immer extremer geworden ist, wir ihm da aber nicht reinreden wollen, wenn er selbst keinen Bedarf sieht. Dann haben wir noch besprochen, wann wir uns an Weihnachten sehen können. Also keine Aggressivität oder Rückzug seinerseits, sondern "nur" Ignorieren der Situation.
Ich hoffe, dass ihm vielleicht trotzdem irgendwann, wenn er sie nicht mehr ignorieren kann, unser Gespräch was nutzt. Da er nun weiß, wie wir darüber denken, hat er vielleicht weniger Hemmungen, sich an uns zu wenden, wenn er mal jemanden zum Reden braucht.
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