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Erfahrungsbericht: wie ich meiner Messie-Freundin beim Räumen helfe
Hi zusammen,
nachdem ja nun doch viel Zeit vergangen ist und außerdem einige Stimmen nach einem Update fragen - kommt jetzt hier auch mal ein Update :)
# Was haben wir erreicht
Viel!
Das Erreichte übersteigt unsere Erwartungen ganz wesentlich. Man kann das in zwei Kategorien unterteilen: einmal der Zustand der Wohnung an sich, als Symptom, wichtiger aber zum anderen: das "Innenleben", also die Mechanismen die dafür sorgen, daß die Symptome auftreten und sich häufen.
Im Einzelnen kann ich das mal versuchen aufzugliedern:
* das Bad ist ein ganz normales Bad: alle Gegenstände sind gut erreichbar, ordentlich gruppiert, nicht gestopft. Der Boden ist frei, das Regal unterm Spülbecken sortiert und die beiden Spiegelschränke sind so bestückt, daß man mit einem Blick erkennt was darin ist.
* der Flur ist vollständig frei! Hier steht gelegentlich mal die Arbeitstasche für den nächsten Tag, oder es ist eine Tasche da, die darauf wartet in den Keller gebracht zu werden. Das letzte Widerstandsnest, die sehr gestapelten Schuhe, ist in der vergangenen Woche geräumt worden: die Sommerschuhe stehen ordentlich aufgereiht da, die Winterschuhe sind in einen Karton sortiert und stehen woanders.
* das Eßzimmer kann Besuch empfangen: die kleine Anrichte ist gut aufgeräumt, es steht für den durchschnittlichen Geschmack sicherlich etwas zu viel Zeug darauf, aber alles ist erreichbar, nett anzusehen und nicht kreuz und quer gestapelt.
* die kleine Küche ist in einem durchschnittlichen Zustand: sehr voll, aber ebenfalls ist alles erreichbar und einsehbar. Sie wird aber auch jeden Tag umfänglich benutzt, schließlich kochen und leben wir beide sehr gerne. Das gemeinsame Kochen ist mittlerweile gut möglich, manchmal komme ich noch etwas ins Schleudern und muss abbrechen, weil ich die Ordnung in den Regalen und im Kühlschrank nicht immer durchschaue, aber diese Momente nehmen ab.
* das Schlafzimmer ist nicht mehr unordentlich, hier tut sich noch relativ viel: immer wieder werden Wäschestapel verarbeitet, manchmal ist viel von den Alltagsgegenständen auf dem Ankleidemöbel, aber auch hier tut sich viel auf Tagesbasis.
* das große Wohnzimmer ist eine Art Arbeitsstation. Es wird faktisch nicht wirklich als Wohnzimmer genutzt, es wird hier noch viel hin und her geräumt, sortiert, begutachtet, zwischengelagert und wieder umgepackt und so weiter. Das führt eben dazu, daß es eher ein Werkraum als ein Wohnzimmer ist. Dieser Zustand ist so gewollt. Das Zimmer ist vorzeigbar, es sieht wie Umzug aus und erzeugt keine Vorsicht, keine Scham.
Die meisten Änderungen haben sich, so meine ich, im Innenleben ergeben: bei uns beiden hat sich das Empfinden von Sicherheit und Vertrauen-können ganz wesentlich gefestigt, durch diese gemeinsame Erfahrung. Das funktioniert tatsächlich in beide Richtungen: während meine Freundin ihr "visuelles Gedächtnis" verändert hat, kann ich mittlerweile mit den einzelnen Stapeln und der gelegentlichen Rückkehr einzelner Haufen und liegengebliebenen Baustellen leichter, mit weniger Aufregung umgehen. An meiner Schilderung ist zwischen den Zeilen erkennbar: nichts ist perfekt, weder bei ihr noch bei mir: es ist zwischendurch immer wieder mal ein Rückschritt dabei, ich habe beispielsweise das eine oder andere Mal Unruhe entwickelt, weil der "Kampf gegen die Windmühlen" wieder da zu sein schien. Sie hat, auf der anderen Seite, insbesondere bei Streßsituationen im Alltag, eine Reihe von angefangenen Aufgaben doch schleifen lassen, so daß sich Rückschritt eingestellt hat.
Ich habe festgestellt, daß es mir manchmal schwer fällt, das Bestehen auf Einhalten der Regeln aufrecht zu halten: es kommt mir manchmal wie Bevormundung vor, es ist dann nicht leicht für mich, immer wieder "einzufordern". Das ist je nach Dauer und Situation manchmal gut und manchmal schlecht, ein sehr schmaler Grat zwischen Richtig und Falsch. Auch hier hat sich das eine oder andere Mal ein Konflikt, auch durchaus wieder konfrontativer Natur, eingestellt.
Eine Situation möchte ich schildern: ein Konflikt entstand, in dem wir tatsächlich davor standen, für den Tag im Unfrieden auseinander zu gehen.
Wir hatten uns vorgenommen, eine bestimmte Kiste zu nehmen und zu sortieren. Die Verabredung war, daß sie das alleine macht, und ich mich um was Anderes kümmere. Wir hatten uns just darauf verständigt, ich drehte mich um und fischte mit zwei Fingern eine leere, kaputte Plastikfolie (die war mal eine Umverpackung von ich-weiß-nicht-was) raus um sie wegzuwerfen.
Für mich war das nicht weiter erwähnenswert, ganz offensichtlich war das Müll, es lag oben auf der Kiste, ich griff also nicht mal großartig ein.
Für sie war das der Bruch einer ganz klaren Verabredung, eine Bedrohung des grundsätzlichen Vertrauens. Wie sollte sie mir vertrauen können, wenn schon so einfache Sachen nicht funktionieren, wenn ich mich als so unzuverlässig erweise?
Wir hatten sehr harte Gespräche dazu, das Klären der Situation hat, in meiner Erinnerung wenigstens, bestimmt zwei Stunden gebraucht. Wir haben es geschafft, aber es war wirklich ein harter Konflikt.
Ich schildere das hier im Sinne des ganzen Beitrags um zu verdeutlichen, welche Mechanismen wirken und was im Einzelnen passieren kann.
Zwischen uns beiden ist es gut, wir haben die Situation mit-einander überwunden.
Die Qualität des Erreichten läßt sich aber besonders einfach und gut daran darstellen, daß die Wohnung zwischenzeitlich Gäste empfangen hat: wir haben zu Kaffee und Kuchen eingeladen, es waren schöne Stunden die wir mit Freunden und einmal sogar mit fremden Übernachtungsgästen verbracht haben. Dabei waren alle Räume offen, kein Raum war ein Tabu. Das war für meine Freundin ein ganz großer Schritt, das sagt sie selbst wörtlich so. Das ist etwas Neues.
Das war nicht nur einmal der Fall, sondern gleich mehrfach.
Ich halte das bewußt kurz - es wirkt bestimmt für sich, was das bedeutet.
Im Gegensatz zu den oberen Räumen ist der Keller übrigens übervoll: ich kann frei heraus sagen, daß die gute Ordnung oben zum Teil ein wenig gemogelt ist, da wir sehr viele Sachen wirklich dicht gepackt und hervorragend gestapelt in den Keller verfrachtet haben. Es war der beste Kompromiss, um zügig voranzukommen. Der Plan mit den Sachen ist eigentlich, sich immer wieder eine Tasche oder Kiste vorzunehmen und zu sortieren. In der Praxis ist das nicht ganz so einfach, denn es ergeben sich schon aus dem Inhalt einer einzelnen Tasche ein Dutzend oder auch noch mehr neue Kategorien, in die wir "sortenrein" aufteilen. Das erfordert sowohl Platz als auch eine gute Logistik, um nicht hinterher mehr Platzverbrauch zu haben als vorher.
Das geht auch im Vergleich zur vorigen "groben" Arbeit erwartungsgemäß langsam voran.
Ich kann dazu sagen, daß meine Rolle sich von mehr oder weniger Muskelkraft wieder hin zu Partner ändert dabei: ich kann vieles sehen, würdigen und habe mehr geistige Kapazität, um Geschichten zu einzelnen Gegenständen zu hören. Es ist leichter als ich dachte momentan: es hat einen Moment gedauert, bis ich verstanden habe, wie das funktioniert. Zu Anfang war ich hier ungeduldig, aber seit ich verstehe, daß die Beschäftigung im Kleinen ein ganz wesentlicher Teil des Ganzen ist, kann ich auch das Schöne darin erkennen und auch mit meiner Freundin teilen.
Was ich noch erwähnen möchte ist auch, daß wir im Vergleich zu vorher relativ wenige Dinge wegwerfen oder aussortieren. Ich nehme an, daß das noch mal zwei weitere Durchgänge benötigt, in denen weiter und feiner ausgesiebt wird. Vielleicht ist das aber auch schon der erwartbare Endzustand - das werden wir noch sehen.
# Das visuelle Gedächtnis
Meiner Freundin ist dieser Punkt sehr wichtig, wir heben ihn daher hier einmal besonders hervor.
Das visuelle Gedächtnis ist für sie wie eine Prägung, die den "Normalzustand" der Wohnung für sie festschreibt. Dieser "Normalzustand" wird von ihr immer wieder angestrebt.
Nun besteht also die Aufgabe darin, eine andere konkrete Form für den "Normalzustand" zu finden, der bislang von einer vollgestellten und überall in Nutzung befindlichen Wohnung eingenommen war. Der neue Normalzustand soll also ein solcher sein, der aufgeräumter und handhabbarer ist als bisher. Wir nähern uns diesem Zustand an, indem wir uns gemeinsam um die Wohnung kümmern und uns dabei darüber unterhalten. Es war ja schon mal angedeutet, daß meine Hinweise auf "da steht noch was" als hilfreich wahrgenommen werden und sie das wie einen Reset-Knopf empfindet.
Jüngst ergab sich dabei für sie, daß sie die beiden Kaffeetassen vom Vortag als Störung empfand und sie sofort in die Spülmaschine räumte, statt darauf zu warten bis da soviele Tassen stehen, bis es sich dann mal lohnt.
# Wie geht es weiter?
Auch hier möchte ich es einstweilen knapp halten, denn der folgende Satz steht weitgehend für sich:
wir werden zusammenziehen :)
Es dauert noch ein paar Wochen, dann werden wir ein gemeinsames Haus haben.
Stand heute werden wir euch auch dann weiter mit Nachrichten versorgen.
# Wir sagen Danke!
Wir möchten uns beide bei euch allen bedanken: eure Reaktionen auf unseren Beitrag in diesem Forum bedeuten uns mehr als einfach nur "Resonanz". Es war und ist unser beider Anliegen, unsere Erfahrungen mit anderen zu teilen, in der Hoffnung, damit die Welt ein klein wenig besser zu machen, auch für andere.
Wir haben das Gefühl, daß wir das bei dem einen oder anderen auch auslösen konnten. Das ist ja der eigentliche Grund, warum der Beitrag existiert.
Wir sind beide der Überzeugung, daß der Mensch nur in Gemeinschaft wirklich Mensch sein kann. Ob diese Gemeinschaft sich im realen Leben manifestiert, oder ob sie in einer kleinen Internetnische wie dieser hier nicht vielleicht entstehen kann, das ist dann schon fast nicht mehr wesentlich.
Wir erleben dieses Forum als etwas Besonderes: besonders freundlich, besonders einfühlsam, besonders verständig.
Dafür gebührt allen hier Anerkennung und Dank :)
Viele Grüße,
wir beide, Cyrrox
Hallo @cyrrox, hallo ihr zwei Helden! :-)
Dieser Bericht ist absolut ermutigend - der große DANK geht an dich/euch!!!
Und ein ganz besonderer Glückwunsch: für das, was ihr miteinander geschafft habt und für so eine große Liebe!!!
Denn die scheint mir aus euren Zeilen zu sprechen - und für eine wunderbare Zukunft, die vor euch liegt!
Ich wünsche euch von Herzen alles Gute und sage DANKE für's Teilen und Mut machen!
Liebe Grüße,
Scherbe
Gold
Silber
Bronze
Medaille
Pokal
ich möchte mich hier auch dafür bedanken, dass ihr so offen drüber schreibt und vor allem finde ich gut, dass ihr gemeinsam arbeitet.
Stimmt, vom Menschen als Messie zu sprechen, ist falsch. Ich bin ja auch kein Hashimoto oder Diabetes. Ärzte können so reden, aber wir sind keine Krankheit, wir haben einfach eine.
Alles konnte ich so auch noch nicht durchlesen, dafür sind mir die Beiträge zu lang.
Was mir aber immer auffällt, ist dass wir im Urlaub eine schöne Ferienwohnung haben und wenn wir wieder nach Hause kommen, leben wir wieder im Sumpf und im Chaos. Dabei brauchen wir gar nicht so viele Sachen, wie wir haben - wenn wir sie alle wieder finden würden, hätten wir auch nicht diese Mengen.
Finde ich schön, dass ihr weiter macht, und ich bin zuversichtlich, dass ihr den angestrebten Zustand auch halten könnt.
Draculara
http://www.draculara.de
http://messie.bplaced.net/messie
Eine Lösung setzt ein Problem voraus. Ich kenne meine Fehler, das hält mich aber nicht davon ab, sie zu machen
@cyrrox und seine Liebste,
Von mir auch ein ganz herzliches Dankeschön! So wie ihr es beschreibt, könnte auch bei mir Hilfe möglich sein. Ist aber schwer vorstellbar, dass jemand die Geduld aufbringt... Also unter "Hilfe" stelle ich mir sonst eher vor, dass gefühlte 20 Leute meine Bude stürmen und alles raustragen, was nicht niet- und nagelfest ist. Und ich wundere mich dann, dass Leute sich wundern, dass ich das nicht will. Sie würden das doch bei sich zu Hause auch nicht wollen! Oder gibt's hier irgendwo Wohnungen, die absichtlich offen gelassen werden mit Hinweisschildern für die Einbrecher, damit sie nicht vorbeirennen, ohne was mitzunehmen? 😉
Messies sind also keine spezielle Art von Leuten, wenn sie nicht mögen, wenn andere ihnen ihren Kram wegnehmen. Allenfalls sind sie spezielle Leute, denen es schwer fällt zu wissen, welchen Kram sie brauchen wie viel Vorrat oder Erinnerungsstücke okay sind.
Hallo @Draculara ,
ob Messies überhaupt spezielle Leute sind oder eine Krankheit haben oder vielleicht der Unterschied gar nicht in den Personen liegt, sondern in den Wohnungen, dazu mache ich gleich einen neuen Thread auf mit dem hübschen Titel "Haben oder Sein?"
Herzlichst
Robin
@Cyrrox
Wirklich super, was ihr geschafft habt und dass ihr das so durchgezogen habt ! Ich persönlich habe lange gebraucht, um mir auch Hilfe zu suchen (für das letzte Zimmer in meiner Wohnung, welches ich einfach nicht mehr alleine gepackt habe). Ich finde es nicht einfach, dafür die "richtige(n)" Personen zu finden, daher ist es sooo schön, zu lesen, dass ihr euch gefunden habt - auf allen Ebenen!
Alles Gute und viel Erfolg für den Umzug ins Haus !
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