Erwartungen

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26.06.2022 09:11 (zuletzt bearbeitet: 26.06.2022 09:16)
avatar  Robin
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Guten Morgen @Gitta + alle,

Nein.

Genauer: Schlagfertigkeit auf blöde Sprüche finde ich viel besser als seinen Emotionen durch Lautstärke Ausdruck zu verleihen, und natürlich ist es gut, im Kopf zu haben, dass ein schlichtes, aber beharrliches "Nein" auch ausreichend sein kann. Ich kenne sogar demokratisch eingestellte Subkulturen, in denen das dazu führen würde, dass die Leute nachfragen, was genau ich überhaupt verneine und welche Gründe ich dafür hab.
Im allgemeinen ist aber damit zu rechnen, dass die Leute davon ausgehen, dass sie genau wissen, was ich meine, und wenn sie ein paar Psychologiebücher mehr gelesen haben als ich oder davon ausgehen, dass es so ist (und im Real Life erlebe ich immer wieder, dass mir Leute Vorträge halten, in denen sie Basics über ein Thema, mit dem ich mich gründlich befasst habe, falsch erklären - d.h. Leute scheinen, wenn sie es nicht genau wissen, davon auszugehen, dass ihr Gesprächspartner von nichts eine Ahnung hat), dann glauben sie sogar, dass sie besser als ich selbst wissen, wie ich das meine.

Zu der Frage, um welche Situationen es geht: Ich hatte ja schon geschrieben, dass ich ein Schlagfertigkeitstraining interessant finde unter dem Aspekt, überhaupt einen Weg zu finden aus Situationen, die einen erstmal sprachlos machen. Insofern kann ich mich da vielleicht ein bisschen in @Anna1111 reinversetzen, die sich ja anscheinend auch was anderes vorgestellt hat als die Kunst der Beleidigung zu erlernen. Ich würde es wahrscheinlich aber mitmachen können, nur halt als Spiel und vorsichtig, so wie man ja auch bei einem körperlichen Selbstverteidigungstraining das unter Anfänger*innen jedenfalls so macht, dass man sich nicht gegenseitig verletzt.

Eine Situation, bei der ich bis heute nicht ganz damit klarkomme, dass ich nichts sagen konnte: Nach ihrem ersten versuchten Entzug und Delirium Tremens, ich war damals 17, musste meine Mutter das Krankenhaus verfrüht verlassen, weil ihr Vater in der Zeit gestorben war und wir ihn beerdigen und die Wohnung auflösen mussten. (Heute würde ich schon diesem "müssen" knallhart widersprechen, aber dazu hatte ich damals anscheinend noch keine eigene Meinung.) Wir waren also eine Woche lang in der Wohnung meines Großvaters und haben auch dort geschlafen. Die Wohnung war voller noch verschlossener Schnapsflaschen, weil er die gesammelt hat. Gleich am 2. Tag hat mein Vater gesagt, dass wir spazieren gehen. Ich weiß nicht mehr, ob er gleich wollte, dass nur er, mein Bruder und ich rausgehen, oder ob meine Mutter nicht mit wollte. Ich wollte dann jedenfalls mit ihr in der Wohnung bleiben, weil ich sie nicht allein lassen wollte und schon gar nicht mit den Schnapsflaschen. Mein Vater hat das aber nicht akzeptiert. Er hat schließlich gesagt: "Ein Alkoholiker muss selbst lernen, das erste Glas stehenzulassen."
Und ich konnte nicht mehr widersprechen und bin dann mitgegangen. Kann man sich denken - sie ist sofort rückfällig geworden.

Ich *wusste*, dass man sie zu dem Zeitpunkt nicht alleinlassen durfte. Gerade heute, durch den Zeichenkurs, verstehe ich, warum ich keine Worte hatte für meinen Widerspruch und letztlich dem logisch korrekten Argument meines Vaters gehorcht habe: Die linke Gehirnhälfte arbeitet logisch-sequentiell, und sprachlich. Die rechte eher ganzheitlich-visuell, und sie ist quasi stumm. Denke ich zurück an den Spaß, den mein Sohn hatte, als ich so Überkreuz-Übungen mit ihm machen sollte und er die im Nullkommanix viel besser konnte als ich, dann ist das Rätsel des "irgendwo eingeschlossenen Wissens" wohl gelöst.

An der beschriebenen Situation fällt auf, dass "Nein" eine bessere, aber höchst suboptimale Antwort gewesen wäre. Vielleicht habe ich sie sogar gegeben und bin eingeknickt, weil sie logisch so unhaltbar war. Richtig wäre gewesen: "Ja, aber nicht *jetzt*."

Übrigens, zum Thema Re-Traumatisierung: Diese Geschichte zu erzählen hat mir stark beschleunigten Puls verursacht. Ich kann nun aber tief durchatmen, unter die Dusche gehen... Und wissen, dass ich noch immer verletzbar bin und meinem Vater wahrscheinlich noch immer am besten aus dem Weg gehe. Es ist nicht möglich, das mit ihm zu klären. Er hält sich für das Opfer. Und prinzipiell sind für ihn die Täter in jeder Geschichte die Frauen. Seine Selbstgerechtigkeit ist m.E. nur ein Schutz. Aber das einzige, was ich mit ihm tun könnte, ist, ihm den zu zerfetzen.


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26.06.2022 09:23
avatar  Gitta
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@Miranda
Ich sehe es immer noch so, dass sich Schlagfertigkeit mehr auf berufliche oder andere Zusammenhänge bezieht, wo man mit Menschen zu tun hat, die einem nicht besonders nahestehen. Und wo ein emotionales Verhalten unangebracht wäre.
Im Privaten, in der Familie ist eher emotionales Verhalten angesagt.
Zu Deiner Familien Situation kann ich nur sagen, zu meinem Vater hätte ich auch nicht so einfach Nein sagen können. Als Kind bin ich dafür immer geschlagen worden, also saß mir das später noch in den Knochen und ich hätte es zu ihm auch nicht sagen können.


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26.06.2022 15:38 (zuletzt bearbeitet: 26.06.2022 15:39)
avatar  Sybille
#223
Sy
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Liebe @Miranda

wenn ich mir die Situation im Rückblick so ansehe (und hinterher ist man ja in den meisten Fällen klüger) dann sehe ich immer noch NICHTS was man da "richtigerweise" hätte-tun-können.
Meines Erachtens habt ihr nämlich beide Recht:
Eine siebzehnjährige kann doch ihre Mutter (noch dazu in einer Ausnahmesituation!) nicht davor bewahren alkohlrückfällig zu werden. Damit wärst Du meiner Meinung nach unzumutbar und unlösbar überfordert gewesen.
Und "natürlich" konnte Deine Mutter es in der Situation nicht ohne Rückfall schaffen.
Meiner Meinung nach, war die Weiche für die Katastrophe bereits gestellt, ich sehe nicht, was man da noch hätte zaubern sollen.

Ich kenne Deinen Vater nicht, aber ehrlich gesagt, frage ich mich, ob er die Katastrophe kommen gesehen und versucht hat Euch Kinder aus der Schusslinie zu reißen (Was wäre passiert, wenn Du alleine die Verantwortung dafür gehabt hättest, dass Deine Mutter nicht rückfällig wird? 🤢)

Meiner Meinung nach war der Zeitpunkt in dem deine Mutter das Krankenhaus verlassen hat der LETZTE Moment, in dem ein "Nein" noch hätte-helfen-können. Danach hätte es ein Wunder gebraucht.

Konntest Du mit 17 nicht überblicken, durchsetzen, wissen, herbeizaubern?
Glaube ich auch.


Fazit: ich sehe NICHTS was Du hättest "richtig" machen können. Daher hat die Situation damals meines Erachtens zwar sehr viel mit Erwartungen zu tun - aber sehr wenig mit Schlagfertigkeit.
Denn wenn eine Lösung nicht existiert. Dann existiert auch keine Antwort, die zur Lösung führt.


Nur son Gedanke...


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26.06.2022 15:50
#224
An
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@Miranda
Für mich ist das auch wieder so eine Geschichte, wo ich mich frage: WOLLEN die Erdlinge denn, dass jede Geschichte böse ausgeht?
Es hätte hier so viele Möglichkeiten gegeben, was man hätte tun können, damit nicht das Schlimmstmögliche passiert. Man hätte z.B. die Schnapsflaschen vor dem Spaziergang in eine Kiste packen und in den Kofferraum tun können oder gleich in den Müll werfen.
Man hätte auf den Spaziergang verzichten können und zusehen, dass immer jemand da ist.
Der Vater hat hier eine Verantwortung auf die Mutter geladen, die sie als Süchtige gar nicht tragen konnte.


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26.06.2022 15:54
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@Gitta
Ah, typisch Borderline, was Du von dieser Frau erzählst. Die steigern sich da rein, dass alle anderen böse und verdorben sind und sie das böse Opfer.
Und das wiederum gibt ihnen die moralische Berechtigung für Rufmord und Intrigen.
Borderliner mögen Dramen, extreme Geschichten, Krieg und Kampf. Ständig sind sie im Krieg mit anderen.
Ich stelle mir vor, dass unter den Verschwörungstheoretikern ganz viele darunter sind. Zuerst bilden sie sich eine übermächtige Verschwörung ein und dann ziehen sie dagegen in den Krieg.
Ja, klar, ich merke auch, dass ich den anderen nicht das geben kann, was sie suchen.
Letztlich suchen sie bei mir aber anscheinend auch oft das Falsche.
Was natürlich auch am Frauenbild liegt. Von einer Frau wird ein bestimmtes Verhalten verlangt, was ich aber so nicht umsetzen kann bzw. will.
Also, wenn ein Mann mit mir redet als sei ich ein Kleinkind, dann krieg ich schon genug!


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