Einen Anfang finden

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01.03.2014 22:50
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#11
Gast
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Hallo Berle,

willkommen hier im Forum! Ich finde, hier sind eigentlich alle ganz normal - oder möglicherweise ist auch umgekehrt, dass das, was gemeinhin als Normalität betrachtet wird, viel näher dran ist, als man meint. Wenn man sich eine Gehirnerschütterung zuzieht, oder einen Magen-Darm-Infekt, oder Diabetes, dann schämt man sich dafür doch auch nicht. Eine psychische Krankheit ist eine Krankheit ist eine Krankheit ist eine Krankheit. Die Scham, die kommt durch die negativen Reaktionen von Menschen, die zu ungebildet sind, um zu verstehen, dass es eine Krankheit ist. Leute, die dem Andersartigen mit Spott und Ablehnung begegnen, weil sie es nicht besser wissen. Vor solchen Menschen muss man sich nicht schämen.

Du hast schon einige Anregungen bekommen, ich möchte noch zwei ergänzen:

Du könntest versuchen, deine innere Haltung "Ich muss" umzuwandeln in "Ich will". Du schreibst z.B., dass du dir selbst Druck machst, dass du aufräumen _musst_ wenn Besuch kommst - deshalb lädst du dir den Besuch ein, um dich selbst dazu zu zwingen. Dass das unangenehm ist, und du dich damit dazu erziehst, dir selbst Widerstand zu leisten, glaube ich gern. Vielleicht lösen sich manche Blockaden eher, wenn du versuchst, in Worte zu fassen, wie es sein soll, was du dir wünschst - wie du es haben willst. Für dich, damit du den Menschen, die dir in deinem Leben wichtig sind, so begegnen kannst, wie du dich ihnen präsentieren willst.

Zweitens: Gerade weil du einen (ebenfalls hier ganz normalen) Hang zum Perfektionismus hast, hilft es dir vielleicht, deine Wohnung als altes Möbelstück zu visualisieren, das aufgearbeitet werden muss. Normalerweise geht man nicht so vor, dass man eine kleine Stelle irgendwo an diesem Möbelstück nimmt, erst grob, dann immer feiner schleift, und schließlich neu bemalt, lackiert, versiegelt, sondern man schleift erst einmal das ganze Möbel grob. Wenn man diesen ersten Schritt getan hat, ist es natürlich noch nicht perfekt, aber es wirkt schon gleich wieder völlig anders - das motiviert einen, weiter zu machen. Vom Streben nach Perfektion verabschiedet man sich dennoch nicht, im Gegenteil - man arbeitet "auf allen Ebenen gleichzeitig" daran, indem man Schicht für Schicht angeht. Am Ende kommt die Feinarbeit, und der Künstler kann sich zufrieden zurücklehnen und das Gesamtkunstwerk bewundern - und stolz darauf sein.


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01.03.2014 23:35
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#12
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Hallo Berle!
Willkommen hier bei uns. Ich sehe das auch so. wir sind hier eigentlich ein ganz normaler Haufen mit einer Menge normaler Probleme. Zu schämen gibts da nix. Ich wills mal positiv ausdrücken. Würde von einem Tag auf den anderen auf der ganzen Welt der Strom ausfallen - ich hätte kein existenzielles Problem damit. Darin hab ich Übung, wenn auch, zum Glück, dieses Training zumindest nicht auf meine eigene Schuld zurück zu führen ist.
Später, als ich nimmer Spielball anderer war, hab ichs nicht mal geschafft, mir auf den Ämtern Hilfe zu holen - ich hab mich einfach zu sehr geschämt. Vielleicht wars mal gut, das damals mein Sohn noch bei mir wohnte. Die Androhung der Zwangsräumung hat mich endlich in die Puschen gebracht. Nicht wegen mir - mir selbst war ich nix wert. Aber mein Sohn, der damals gerade um einen guten Schulabschluss kämpft und schon so viel durchgemacht hatte, der sollte nicht wieder in sowas reingeraten.
Der erste Schritt war schlimm. Ich musste mich outen. Ich musste einem fremdem Menschen gegenüber zugeben: So und so siehts aus und ich schaffs nicht mehr allein ...
Da ich für die meisten Menschen in meinem Umfeld immer der Anker im Sturm war und bin und es hasse, selbst um Hilfe zu bitten, war das wohl das Übelste, was mir je
passiert ist.
Übrigens, Berle - ein Kind ist niemals ein Messie. Wenn ein Kind mit der Ordnung in seinem Zimmer überfordert ist, dann liegt der Grund niemals bei ihm. Man kommt nicht als Liederling auf die Welt. Das hat dann wohl Ursachen ...

Alles Liebe
Kay

Ordnung ist etwas Künstliches. Das Natürliche ist das Chaos. (Arthur Schnitzler)


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02.03.2014 01:06
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#13
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Hallo Sumi und Kayla,

ja, du hast Recht Sumi, der Unterschied zwischen "ich muss" und "ich will" kann ausschlaggebend sein.

@Kayla Ich kann das sehr gut nachvollziehen, wie du dich gefühlt hattest, als du dir Hilfe geholt hast. Wie du schreibst, bist du für andere Menschen in deinem Umfeld der Sturm im Anker. Ähnlich war es bei mir. Und ich frage auch nicht gerne um Hilfe, bin aber sofort zur Stelle, wenn ich sehe dass andere Hilfe brauchen, ohne dass sie groß fragen. Und da kann ich Energien entwickeln, die enorm sind. Wohnungen bei anderen aufräumen und putzen? Alles kein Problem. Mit anderen zu Behörden gehen, um sich da für andere selbstbewusst einzusetzen, eine Kleinigkeit fürmich. Aber für mich selber? Da sitze ich klein wie eine Maus vor dem Sachbearbeiter und sage zu allem Ja und Amen.

Hm richtig du hast Recht, wegen dem Kind und dass ein Kind kein Messie ist. Meine über dem sagen wir mal normalen Maß hinausgehende Unordnung in meinem damaligen Kinderzimmer hatte mit Sicherheit sehr viel mit der Atmosphäre zu tun, in der ich aufwuchs. Mit einem alkoholkranken Vater, der meine Mutter regelmäßig schlug. Wir Kinder waren da nebensächlich, weil meine Eltern genug mit sich selbst zu tun hatten.
Als meine Mutter starb, als ich 12 Jahre alt war, kam ich in eine Pflegefamilie, wo genau das Gegetei der Fall war. Überkontrolle. Da fing es eigentlich an, dass ich irgendwann Meister darin war, Unordnung so zu verstecken, dass sie zwar noch vorhanden war, aber nach außen hin nicht sichtbar.

So und nun Gute Nacht. :)
Liebe Güße
Berle


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02.03.2014 02:07
avatar  Kayla
#14
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Den Teil kann ich bestätigen. Unordnung, wenns not tat, zu verstecken, darin hab ichs auch irgendwann zur Meisterschaft gebracht.
Eine andere Gemeinsamkeit zwischen uns wirft allerdings wieder mal eine meiner alten Fragen auf. Wir sind nicht die einzigen, die für andere kämpfen können bis zur Selbstaufgabe, für sich selbst aber nix taugen. Und ist es Wahnsinn auch, so hat es (scheints) doch Methode ...
Definieren wir uns vielleicht immer noch zu oft über das, was andere von uns denken? Wenn wir schon zu sonst ni wirklich taugen, sind wir dann nicht wenigstens gute Kollegen, Freunde, Nothelfer? Knuddeln wir damit unser Märtyrersyndrom?
Wie ich mal sagte. Nach meiner Erfahrung will einfach jeder Mensch wichtig sein, als kompetent in irgendwas, egal wie absurd, wahrgeommen werden. Ist das unsere Nische?
Ich meine, mal ehrlich. Wenn ich mich hier durch die Threads lese, dann haben das Problem doch einige von uns. Nun, warum, in drei teufels Namen, finden wir dann nicht Freunde, wie die Leute hier im Forum, dann würde sich das Problem von ganz allein lösen? Stattdessen haben wir ein inneres Radar entwickelt für Leute, die unsere Hilfe brauchen und dafür oft nicht mal einen Finger für uns krumm machen, die es drauf haben, selbst wenn unsere ganze Familie gestorben ist, am ächsten Tag bei uns auf zu laufen und uns zu erzählen, wie schwer sie doch an ihrem neusten, selbstverschuldeten Liebeskummer kauen. Und was machen wir? Wir packen unsere eigenen Sorgen und Tränen in die Schublade und sind mal wieder der Weltentröster, der Seelenmülleimer.
Irgendwann hat man das so perfektioniert, dass man gar nicht mehr weiß, was man selbst empfindet, weil man gelernt hat, die eigenen Gefühle immer passend zurecht zu biegen. Wir sind noch traurig, klar, sogar verzweifelt. aber nur noch Wimpernschläge lang, dann haben wirs schon wieder verdrängt. Himmelhochjauchzend - zu Tode betrübt, allerdings nicht in der Form, we man sievon echter Bipolarität kennt, sondern pragmatisch, angepasst an die jeweilige Situation.
Bloß für uns selbst, da taugen wir absolut nix. Wir stellen uns ständig selbst Beine, kriegen nicht einen Finger krumm, um uns mal wirklich zu belhnen für all die Sch..., die wir für andere schon ausgelöffelt haben.
Ich glaube, es gibt eine Sache, die uns mal klar werden muss, damit wir uns nicht mehr zweingen müssen, ein Tütchen Müll zu entsorgen. Wir haben Ordnung verdient. Wir haben eine schöne Wohnung verdient, schöner als die, die nur so aussehen, weil wir uns dafür krummgelegt haben. WIR stehen im Mittelpunkt unseres Lebens, kein anderer. Und wir haben das Recht, uns zu wehren, wenn uns jemand die Ohren abkaut, uns überfordert, ja, auch nur n der falschen Stelle seufzt oder das falsche Parfum aufgelegt hat. Und das Wichtigste - egal, ws andere behaupten. Wir müssen dabei überhaupt kein schlechtes Gewissen haben. Damit sind nun mal andere dran. Unsere Psyche hat sich zur Wehr gesetzt gegen die dauernde Schikane und sie will uns damit sagen "Ich hab die schnauze voll mit Dir, lieber Mensch. Entweder achtest du jetzt auch mal auf mich, oder ich und Dein Körper gehen getrennte Wege!"
Oder, anders ausgedrückt - wir sollten mal aufhören, "lieb" zu sein.

Kay

Ordnung ist etwas Künstliches. Das Natürliche ist das Chaos. (Arthur Schnitzler)


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02.03.2014 09:20 (zuletzt bearbeitet: 02.03.2014 09:31)
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Wahnsinnstext, Kayla. Daran werde ich hoffentlich noch sehr lange denken.


Momentan mache ich eine Diät, und ich benutze gezielt auf Anregung des Forums die Worte: Ich WILL das nicht essen, statt ich DARF das nicht essen. Und kleine Schritte: Wie viel besser wird es schon sein mit 5kg weniger, und nicht mit den gesamten 20, die ich gerne loswerden möchte?
Gestern abend allerdings lachten mich zwei Hanuta an, und ich wollte sie essen. Da hab ich dann gemogelt, und mir die neuen drei Folgen "The Walking Dead" angeschaut - da WILL ich dann ganz schnell nix mehr essen *g* - und heute morgen sitzt die Hose irgendwie schon lockerer.

Deine Worte, Kayla, haben mich aber vor allem veranlasst, mich mal gezielter zu belohnen, und mir das selbst auch zu sagen.


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