Genau, Aus Chaos entsteht Neues, ich hatte damit gerechnet, es hat mir gar nix ausgemacht, und es hat ja auch nicht den Plan zum Scheitern gebracht, den wir hier als die wahrscheinlich effektivste Möglichkeit ausgearbeitet haben. Aber es war trotzdem ein gutes Gespräch!

Ich hatte ihr vorgeschlagen, so einen Präventionskurs mitzumachen, und sich von Profis schulen zu lassen, wie sie beim nächsten Mal reagieren könnte, wenn der SV wieder verbal auf sie losgeht. So richtig überzeugt schien sie nicht, dass sie da etwas lernen könnte, deshalb hab ich es erst mal dabei belassen. Später kamen wir auf die Kinder zu sprechen, die zur Zeit an einem Karate-Schnupperkurs teilnehmen, in dem auch Präventionsmaßnahmen und gewaltfreie Konfliktlösung gelehrt werden. Da meinte sie, dass sie ihre Jungs damals auch zu so einem Kurs geschickt hätte, und das hätte den beiden enorm viel Selbstvertrauen gegeben. Daraufhin sagte ich: "Eigentlich ist das verrückt. Man weiß, was für die Kinder gut ist, und funktioniert, aber man wendet es nicht auf sich selbst an. Ich glaube, dass dir so ein Kurs echt was bringen könnte". Da horchte sie so in sich hinein und meinte dann nur: "Stimmt!" Deshalb soll ich mich jetzt nach einem solchen Coaching für sie erkundigen.
Das zweite war ein drohender Konflikt, der ihr am Freitag ins Haus steht. Sie soll mit ihm auf eine Beerdigung gehen. Sie kannte den Verstorbenen von früher, hatte aber seit Jahren nichts mit ihm zu tun, und auch mit den Menschen drumherum, denen er wichtig war, hat sie eigentlich nichts mehr am Hut, und will es auch nicht mehr (ich kenne ein paar davon und kann sie echt gut verstehen). Deshalb graut ihr schon davor, zwei mehrstündige Autofahrten mit ihrem Mann auf sich nehmen zu müssen, dann dort dumm rumzusitzen und eigentlich gar nicht zu wissen, was sie da eigentlich soll - und sich für ihn zu schämen, weil er selbst auf eine Beerdigung ungewaschen in Jogginghosen und Schlappen geht (jepp, da spricht die Erfahrung).
Da meinte ich: "Dann geh doch einfach nicht hin". Sie: "Er wird ausflippen!" Ich: "Wieso sollte er? Wenn du nicht gerade auf Krawall gebürstet bei ihm reinplatzt und ihm eröffnest, dass du keinen Bock hast, mit ihm im Auto zu sitzen, weil er so stinkt, hat er doch eigentlich keinen Grund dazu. Wie wärs, wenn du ihm ungefähr eine Stunde, bevor er los will ganz nett und freundlich mitteilst: Du, ich wollte dich nur erinnern: es ist jetzt XX Uhr, denk dran, dich rechtzeitig fertig zu machen. Und übrigens, ich werd nicht mitkommen, ich hab was anderes vor. Grüß schön, und fahr vorsichtig." Große Augen. "Aber er wird wissen wollen, was ich vorhabe" - "Falls er fragen sollte, dann sag, du hättest eine Verabredung, oder du bekommst Besuch, du hast ein Vorstellungsgespräch, oder du hast einfach keine Lust, weil du den Verstorbenen sowieso kaum kanntest. Idealerweise nimmst du dir tatsächlich etwas vor. Ich könnte dir deinen Enkel schon eher bringen, als wir vereinbart haben, dann kannst du sagen, dass du deine Zeit lieber mit ihm verbringen willst. Aber vielleicht fragt er ja auch gar nicht. Auf jeden Fall hat er so kurz bevor er los muss ohnehin keine Zeit mehr, um noch groß mit dir zu streiten. Vielleicht ist er sogar selbst ganz froh, wenn er ohne dich zu seinen alten Kumpels fahren kann. Er ist ja nicht mehr auf dich angewiesen." (Eine Anspielung darauf, dass er ja vor kurzem noch ein Fahrverbot hatte)

Wir werden am Freitag sehen, ob sie es macht. Wäre das noch heute zu klären gewesen, hätte ich gesagt, die Chancen stehen sehr gut. Aber man weiß halt nie, ob nicht bis dahin noch etwas passiert, das sie verunsichert, woraufhin sie dann einen Rückzieher macht und doch mitfährt.

Sie hat mir weiter erzählt, dass sie extrem darunter leidet, wenn er abends in ihre Wohnung kommt und sich breit macht. Nach ein paar Minuten übernimmt er total die Kontrolle über den Raum. Das muss man sich mal vorstellen, es ist ihre Wohnung, ihr Fernseher, sie sitzt da seit ner Stunde und möchte ihre Sendung gucken, dann kommt er rein, verbreitet Pesthauch-Aroma, pflanzt sich auf die Couch, schlägt die Zeitung auf und sagt: Mach den Fernseher aus, der stört mich.
Inzwischen, so meinte sie, schaltet sie den Fernseher schon aus, wenn sie sein Auto ankommen sieht, damit sie sich deshalb nicht von ihm anpampen lassen muss. Dann sitzt sie manchmal stundenlang nur still da und wartet, bis er wieder geht. Manchmal geht sie dann hoch zu ihrem Sohn und sieht da fern, aber sie will ihn halt auch nicht immer stören.

Als Erste-Hilfe-Maßnahme bekommt sie morgen von uns einen kleinen Fernseher für ihr Schlafzimmer. Dann kann sie sich wenigstens dorthin zurückziehen, und ihn im Wohnzimmer einfach hocken lassen. Ins Schlafzimmer wird er ihr vermutlich nicht folgen. So weit, dass sie die Wohnungstür abschließt und ihm sagt, dass er hier nicht erwünscht ist, ist sie jedenfalls noch lange nicht.

Dann hab ich ihr noch verschiedene Informationen gegeben, die ich mir zum "Umgang mit Messies" hier aus dem Forum geholt habe: Dass es typisch für viele Messies ist, aggressiv zu werden, wenn sie unter Zeitdruck gesetzt werden, und sie daher gut daran täte, solche Forderungen zu vermeiden. Dass es nicht darum geht, dass er nicht WILL, sondern dass er nicht KANN. Und dass sie wahrscheinlich alles nur noch schlimmer macht, wenn sie ständig an seinem "Saustall", seinem ungepflegten Äußeren, oder an unerledigten Aufgaben herumnörgelt. Und dass sie das auch unnötig Kraft kostet, denn ändern wird sich deshalb sowieso nichts, weil er sich nicht einfach ändern kann, selbst wenn er es wollte - und er will ja nicht mal. Also wärs für sie leichter, wenn sie SICH das Genörgel spart.
Dann habe ich ihr noch empfohlen, eine Notfalltasche zu packen - die sie gern bei uns deponieren kann, wenn sie mag. Der Sinn einer solchen Tasche ist ihr sofort von selbst klar geworden: "Wenns mir zu viel wird, brauche ich mir nur die Jacke überziehen und kann einfach zur Tür raus!" Die Vorstellung schien ihr so gut zu gefallen, dass ich glaube, das wird sie auf jeden Fall umsetzen.
Außerdem habe ich ihr versichert, dass sie sich nicht davor fürchten braucht, dass sie uns auf den Sack geht, wenn sie sich dauernd von daheim zu uns verkrümelt. Dass es jetzt einfach wichtig ist, möglichst oft nicht da zu sein, um ihm keine Angriffsfläche zu bieten, und wir dafür absolut Verständnis haben, und das jetzt eben gemeinsam durchstehen müssen. Aber sie sollte sich auch da draußen etwas Sinnvolles suchen, etwas, wo sie gern hingeht, und ihre "Seele pflegt". Sie meinte, sie würde gerne freitags abends bowlen gehen. Finde ich super. Hab noch Kreativ-Treffen vorgeschlagen, da könnte sie ihre Korbflecht-Arbeiten mitnehmen. Und auf einmal sagt sie ganz leise und mit verloren wirkendem Blick: "Kannst du dir vorstellen, dass ich früher mal ein richtig lustiger Mensch war?"



The Sock Story:
Ich verdanke meiner Katze die meisten Sockenwaisen. Die Nuss verzieht die nämlich gern, sie trägt sie gurrend im Maul herum wie Katzenbabys, und dann enden sie hinter irgendwelchen Schränken, wo nie ein Mensch zuvor nach fehlenden Socken geforscht hätte...

nein, ich hab nix eingepflanzt. Ich habe heute eher erstaunt festgestellt, dass ich bei ihr mit diesen Ideen offene Türen einrenne. Aber sie war auch so ehrlich zuzugeben, dass das Gespräch, das wir heute geführt haben, vor fünf Jahren undenkbar gewesen wäre.