Die Möchtegern-Minimalistin

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21.06.2024 11:44 (zuletzt bearbeitet: 21.06.2024 11:47)
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Zitat von Sybille im Beitrag #254
Also, @Rica ich wäre *sehr* interessiert, was Du über richtiges putzen herausfindest. Denn ich habe das hartnäckige Gefühl, dass *ich* irgendwas grundlegendes falsch mache.

@Sybille
Ja, irgendetwas übersehen wir. Das Haus meiner Eltern, zum Beispiel, war immer sauber. Obwohl ich genau weiß, was getan wurde, um es sauberzuhalten, verstehe ich nicht, warum es funktionierte.

Meine Eltern bewohnten ein Haus, bestehend aus Keller, Erdgeschoss, erstem Stock und zum Gästetrakt ausgebautem Dachboden. Riesiger Garten mit einer Wirtschaftsgebäudekombination aus Werkstatt, Garage, Carport, Geräteschuppen.

Meine Mutter hatte alles eingerichtet: geschmackssicher, hochwertig, viel Stauraum und halbwegs leicht putzbar. Letzteres mit Ausreißern aufgrund ihrer großen Vorliebe für Zimmerpflanzen und Bilder an den Wänden.

Früher hatte sie selbst alles saubergehalten, obwohl sie Hausarbeit verabscheute. Mehr als eine Stunde alle paar Tage sah ich sie nicht putzen.

In den vergangenen zwei Jahrzehnten kam jede Woche eine sehr gründliche Reinemachfrau, die binnen drei Stunden das ganze Haus putzte. Meine Mutter räumte zwar auf und machte die Wäsche, putzte aber selbst nichts mehr.

Drei Stunden pro Woche finde ich sehr sportlich, um damit eine volle Woche lang drei Etagen plus Keller mit Waschküche sauberzuhalten, und regelmäßig die Fenster zu putzen. Die Reinemachfrau arbeitete gründlich und war nicht sehr schnell.

Auf (m)eine Wohnung umgerechnet wäre das eine Stunde Putzen pro Woche. Die handelsüblichen Cleanieangewohnheiten, die man neben Feudel und Putzlappen braucht, habe ich alle: Ich räume immer sofort alles auf, entferne sichtbaren Schmutz in Bad und Küchenbereich oder wo auch immer gleich, wenn er auftritt, habe Wäschewaschen, Müll und Recycling voll im Griff.

Aber mit einer Stunde wöchentlichem Putzen Boden, Türen, Fenster, alle Oberflächen sauber, alle Regalböden samt Inhalt (Bücher) staubfrei halten? No way. Nicht einmal, wenn alles hinter Schranktüren in staubsicheren Stauräumen untergebracht wäre.

Vielleicht erschaffen Cleanies durch strategisches Sauberhalten von auffälligen Bereichen die Illusion großer Sauberkeit?

In meinem Elternhaus wurden die Böden genau wie bei mir nur einmal in der Woche gesaugt. Die Bäder wurden sogar sehr viel seltener geputzt als mein Bad hier: einmal wöchentlich versus nahezu täglich hier bei mir. Ich komme nicht hinter die infame Cleaniestrategie, die die Behausungen von Normalsterblichen bei gleichem Aufwand so viel sauberer wirken lässt.

Meine vorläufige Arbeitshypothese: Krempelfreie, gut aufgeräumte Zimmer mit Stauraum, der mindestens drei Viertel der vorhandenen Gegenstände versteckt, wirken sehr viel sauberer, als sie sind.


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21.06.2024 12:34
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Zitat von Robin im Beitrag #255
Ah, okay. Das ist bei mir umgekehrt: Trinkbare Kalorien kommen mir nur noch ausnahmsweise ins Glas. Allerdings denke ich grade drüber nach, bei Sauerkrautsaft eine Ausnahme zu machen. Ich habe gestern Abend einen halben Liter davon getrunken und es hat mir als Abendessen gereicht! Das war aber nicht geplant... Das gute und späte Frühstück und die Wärme haben dafür gesorgt, dass ich nachmittags nur eine Miso-Suppe mit Tofu brauchte und abends vor dem Treffen den Sauerkrautsaft. Und nach dem Termin ein kleines Eis, so als Luxus, den ich mir dann erlauben konnte.


Du legst dir aus meiner Sicht gerade einen Satz richtig guter Essgewohnheiten zu. 😍

Ich habe die Genauigkeit meiner Darstellung geopfert für den billigen Wortwitz "Das bisschen, das ich esse, kann ich genauso gut trinken". Wenn es Kalorien hat, trinke ich es nicht, sondern löffle es... Smoothies, Proteinshakes, Wasserkakao werden alle mit einem übergroßen Teelöffel aus der Essschale verzehrt.^^


Zitat von Robin im Beitrag #255
Es kommt da m.E. nicht so sehr auf meine und deine Meinung an, sondern v.a. auf die Meinung der Betroffenen. Also z.B. die Meinung der Nachfahren von Sklaven.
Was die Authentizität angeht, sehe ich das auch gemischt. Es ist m.E. kein Schaden, Kindern eine zeitgemäße Sprache beizubringen. Und Kinder lernen viel Sprache durch's Lesen bekanntlich.

Allerdings lieferst du mir den Grund nach, an meinen alten Ausgaben von Romanen von James Baldwin festzuhalten. ��


Ich glaube, schlecht gealterte Bücher erledigen sich von selbst. Weil niemand, der moralisch nicht im Wachkoma liegt, so etwas heute noch lesen will.

James Baldwin spielt in einer Liga, die nicht nachgebessert werden sollte. Wer Baldwin liest, kann ihn problemlos in die Zeitgeschichte einordnen und will ihn nicht als Disneyversion vorgesetzt kriegen.


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21.06.2024 14:49 (zuletzt bearbeitet: 21.06.2024 14:53)
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Habe vorhin meinen betagten Nachbarn im Keller getroffen. Er zieht gerade aus seiner 80-Quadratmeterwohnung in ein winziges Apartment mit betreutem Wohnen.

Traurig schenkte er mir seine beste Säge und stellte den Rest seines Werkzeug zum Verschenken vors Haus. Während seine überforderte Tochter, in seiner nicht überfüllten Normalo-Wohnung verzweifelnd, ein paar Möbel für ihn und das Wenige zusammenstellte, das er in seinem neuen Zuhause unterbringen kann. Selbst ein Normalohaushalt enthält ungefähr zehnmal soviel wie man braucht, und wie man bei einem Umzug stressfrei händeln kann.

Diese Begegnung war wie eine von Kanonendonner begleitete, dringliche Mahnung an mich:

Befreie dich von deinem Kram. JETZT. Reise mit leichtem Gepäck in deine Zukunft.

Es ist Irrsinn, sich selbst und andere mit Zeug zu belasten. Ich habe es intensiv selbst erlebt, als ich den vollgestopften Zweizimmerhaushalt meiner Nicht-Messie-Mutter nach ihrem Umzug ins Pflegeheim aufgelöst habe. Ich erleide es jeden Tag als Messie in meiner eigenen vollgekrempelten Wohnung.

Das muss man sich doch nicht antun!

Und es kann nicht so schwer sein, sich davon zu befreien. Es ziehen ständig alte Leute aus großen Häusern in kleine Apartments und in Heimzimmer. Die bzw. deren Kinder kriegen es alle gebacken, das Zeug auf Nicht-Messie-Zimmergröße zu schrumpfen.

Ich selbst habe die Haushaltsauflösung für meine Mutter geschafft. Und da war viel Altvertrautes dabei, zu dem ich enge emotionale Beziehungen hatte. Also galt nicht das Argument "mit fremdem Zeug ist es viel leichter".

Übermorgen, am Sonntag, denke ich bei der Wochenplanung darüber nach, ob ich zeitlich und kraftmäßig den Turbogang einlegen kann, um meine Wohnung schneller krempelfrei zu kriegen. Ich will keinen Tag länger als notwendig so leben müssen.

Aber wahrscheinlich bleibt es bei den Entkrempeldienstagen. Nur sollte ich dann nicht wieder nach einer Stunde Entrümpeln zum Baden gehen wie vorigen Dienstag. ;-)


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21.06.2024 15:43
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@Rica
Ja, schon richtig, aber die meisten Leute, die im Altenheim oder Pflegeheim wohnen, vermissen schon einige ihrer Sachen, wie da nicht reinpassten. Ich habe eine Brieffreundin, die hatte in ihrem Haus ein ganzes Zimmer voller Kochbücher gesammelt. Ansonsten war das wohl auch alles etwas messiemäßig. Dann hat es sie vom einen zum anderen Moment umgefetzt, Schlaganfall. Als klar war, dass sie nicht in ihr Haus zurück kann, haben dann Freunde ihr Zeugs einfach in einen Container entsorgt. Immerhin konnte sie ein paar Regale voll ihrer liebsten Bücher mitnehmen, aber ansonsten konnte sie nicht viel mitbestimmen. Sie ist immer noch traurig deswegen, dass das alles so schnell gehen musste und vieles fehlt, was ihr lieb und teuer war.
Darum: Noch ein Grund mehr, selbst zu entrümpeln, solange noch Zeit ist. Ich frage mich ja immer: Wenn ich von heute auf morgen umkippe, was machen dann die anderen damit?
Das meiste werden sie für nutzlosen Krempel halten und wegwerfen. Das motiviert mich, die richtig coolen Teile, die ich aber nicht brauche, an Sammler zu vermitteln. Ich denke durchaus, dass ich mich irgendwann mal verkleinern will oder muss, wenn mir hier das Haus mit Treppensteigen und Garten zu anstrengend wird.
Dazu passt auch, was ich neulich über Sokrates gelesen habe. Kurz bevor er den Schierlingsbecher trank, erklärte er seinen Schülern, dass man als Philosoph eigentlich den ganzen Tag damit verbringt, sich vom Irdischen zu lösen. Das Sterben ist dann einfach nur der letzte Schritt eines Weges, den man vorher schon fast zu Ende gegangen war.
Ich lese das umgekehrt: Mich von Dingen zu lösen hilft mir, mich von der Welt und dem Leben zu lösen.


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21.06.2024 20:08
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Zitat von Anna1111 im Beitrag #259
Ja, schon richtig, aber die meisten Leute, die im Altenheim oder Pflegeheim wohnen, vermissen schon einige ihrer Sachen, wie da nicht reinpassten. Ich habe eine Brieffreundin, die hatte in ihrem Haus ein ganzes Zimmer voller Kochbücher gesammelt. Ansonsten war das wohl auch alles etwas messiemäßig. Dann hat es sie vom einen zum anderen Moment umgefetzt, Schlaganfall. Als klar war, dass sie nicht in ihr Haus zurück kann, haben dann Freunde ihr Zeugs einfach in einen Container entsorgt. Immerhin konnte sie ein paar Regale voll ihrer liebsten Bücher mitnehmen, aber ansonsten konnte sie nicht viel mitbestimmen. Sie ist immer noch traurig deswegen, dass das alles so schnell gehen musste und vieles fehlt, was ihr lieb und teuer war.


Da hatte meine Mutter richtig Glück, mich zur Tochter zu haben.

Ich wusste genau, welche Gegenstände ihr wichtig waren, und welche Stellen in meinem Elternhaus für sie "zu Hause" bedeuteten. Deshalb baute ich ihr in ihrem Pflegeheimzimmer mit den Möbeln aus dem Elternhaus in der einen Ecke ihr Esszimmer nach, brachte mit bestimmten, im gesamten Zimmer verteilten Gegenständen und Kleinmöbeln die Essenz ihres Wohnzimmers rüber und imitierte in der anderen Ecke ihr Schlafzimmer.

Ich wählte aus allen Kategorien die Teile aus, an denen sie am meisten hing. Ich vermittelte ihr ein Gefühl von Kompetenzen, die ihr längst abhanden gekommen waren, indem ich ihr Nähzeug, ihre Verwaltungsordner und einen Drucker aufstellte. Alles Dinge, mit denen sie selbst nicht mehr arbeiten konnte, zu denen sie mir aber Aufträge und Anweisungen erteilen konnte.

Auf dem Balkon des Pflegeheimzimmers betrieb ich für sie ihren gewohnten Gartenbau und ließ sie säen, generös ihre Ernten an ihre Lieblingspflegenden verteilen und Pflanzen zuschneiden, als sie eigenständig schon keine Schere mehr halten konnte.

Ich besorgte ihr im Pflegeheim zuverlässig weiterhin jedes Jahr ihren "Küchenkalender", den es nur in bestimmten Läden gibt, und nur, wenn man schnell ist und ihn bereits im Juli holt. Er hing wie früher in ihrem Haus an zentraler Stelle. Dort trug ich ihre Termine ein. Sie mochte es, weiterhin Termine zu haben, und sich organisiert und ins Leben eingebunden zu fühlen. Deshalb machte ich alles zum Termin und sprach zweimal in der Woche ihre Zeitpläne mit ihr durch.

Jetzt gegen Ende des Junis tauchte in meinem Kalender meine alljährliche Notiz auf "Anfang Juli Küchenkalender kaufen!" und mir brach das Herz...


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