Hey powertrain,

bist du schon auf den Gedanken gekommen, dass du dich mit deiner Unordnung unbewusst gegen diese Bevormundung durch deine Eltern wehrst, oder vielleicht auch - genau umgekehrt - ihre Aufmerksamkeit suchst? Du klingst sehr zornig, wenn du von deinen Eltern sprichst, und auch trotzig. Zwar hast du einen guten Rat für die anderen, aber es scheint dir schwer zu fallen, ihn selbst umzusetzen ("ich resigniere, weil ich keinem genüge"). Du musst (viele Messies hassen das Wort "müssen", aber diesmal ist es denk ich angemessen) nur dir selbst genügen. Wenn du dich wohlfühlst, wenn du zufrieden bist mit deinem Leben, dann ist es sauber, aufgeräumt und ordentlich genug.
Dennoch scheint es dir sehr wichtig zu sein (anerzogen?), was "die Leute" denken - also der Besuch, den du dann einfach woanders triffst, die Familie, für die du dich ins Zeug legst. Du willst also doch irgendwie "gefallen" oder "es ihnen Recht machen", kann das sein? Wenn ja, horche doch mal in dich, warum das so ist.

Vielleicht ist es hilfreich, mal mit deinen Eltern darüber zu reden, warum sie in deiner Kindheit solche - wirklich fiesen - Dinge zu dir gesagt haben. Ich hab in Gesprächen mit meiner eigenen Mutter gemerkt, dass manches von dem, was sie in meiner Erziehung falsch gemacht hat (so krasse Dinge wie bei dir waren es nicht) meist entweder mit ihrer eigenen verkorksten Erziehung zu tun hatte, oder damit, dass sie gehofft hatte, mich damit anzuspornen, oder schlicht, weil damals andere Zeiten herrschten, und andere Vorstellungen, wie man Kinder erzieht - sie hatten einen anderen (viel niedrigeren) Stellenwert in der Gesellschaft, und man ging so mit ihnen um, wie man es von den eigenen Eltern gelernt hatte, und nicht vielleicht heute von Fachratgebern oder von in moderner Pädagogik ausgebildeten Erziehern. Vielleicht können deine Eltern zugeben, dass sie Fehler gemacht haben. Vielleicht kannst du ihnen sogar eines Tages verzeihen, wenn sie es nicht können, weil sie nicht mehr aus ihrer Haut heraus können.
Die Chance hast aber du trotzdem. Du kannst aus deiner Haut heraus, du kannst das ablegen und hinter dir lassen, einen Haken drunter setzen. Vielleicht gehörst du zu den Menschen, die erst innere Ordnung brauchen, bevor sie äußere schaffen können. Vielleicht gehörst du zu denen, die sich über die Katastrophen in ihrem Zuhause etwas vormachen. Auch das habe ich erlebt, ein befreundetes Paar, das stolz verkündete, sie hätten vor unserem Besuch zwei Tage lang geputzt. Nun, das erste was man putzt, ist wohl eine Toilette, besonders wenn kleine Kinder diese benutzen sollen - und denen ist das nicht eingefallen. Das Ding war so eklig, dass ich nicht drauf gehen mochte, und ihre Kinder taten mir einfach nur noch Leid. Sie haben das wohl ausgeblendet, anders ist das gar nicht zu erklären. Vielleicht sind es auch deine Eltern, die extrem pingelig sind, das kann man aus der Ferne nicht beurteilen.
Wenn du noch nicht bereit bist, mit deinen Eltern zu reden, dann vielleicht doch mit deinem Therapeuten, und wenn auch das nicht geht, dann schreibe doch vielleicht einmal einen Brief, mit allem, was du deinen Eltern gerne mal sagen würdest - ohne ihn abzuschicken, denn manchmal reicht es schon, einfach nur die Gedanken und Gefühle auszuformulieren, mit denen man sich quält.

Bei dem mit der Toilette ging es nicht um die Frage, ob deine sauber war, oder nicht, sondern darum, dass ich selbst erlebt habe, dass jemand ernsthaft glauben kann, er habe angestrengt und ernsthaft zwei Tage lang geputzt ("sein Bestes gegeben"), und dabei etwas so Wichtiges wie die extrem verdreckte Toilette vergessen hat. Beziehungsweise ausgeblendet hat. Und das als Hinweis darauf, dass beides möglich ist: Sowohl deine Eltern könnten übertriebene Vorstellungen haben, als auch du einige Aspekte deiner Wohnung ausblenden. Was davon zutrifft, kann man aus der Ferne nicht beurteilen.

So oder so hast du einen tief sitzenden Konflikt mit deinen Eltern, und bei dem gehts nicht um Kabelsalat und ein bisschen Staub. Und das war das Wesentliche, das ich ansprechen wollte. Aussperren, nicht mehr einladen, sich anderswo treffen, die Eltern nicht so ernst nehmen...das sind so die Ratschläge, die du hier an andere Messies erteilt hast. Das sind keine guten Ratschläge. Es ist das, wie du dich eingerichtet, mit der Situation abgefunden hast. Du setzt dich nicht damit auseinander. Du resignierst. Gut, kannst du machen, ist deine Entscheidung. Aber anderen den Rat geben, einfach das Gleiche zu tun, Kopf in den Sand stecken, und die anderen haben sowieso alle Unrecht und übertreiben mit ihrem Ordnungsfimmel, wenn man allein ist, kann man den Müll ruhig liegen lassen, stört ja keinen?
Die meisten kommen her, weil sie etwas ändern wollen. Sie wollen nicht mehr isoliert leben, sie wollen sich nicht mehr schämen. Sie wollen nicht lernen, sich mit dem Zustand ihrer Wohnung abzufinden.