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Fragen an Betroffene
Hallo,
mich würde interessieren, wie das bei euch so war. Ich erhoffe mir dadurch, einen Weg zu finden, mit meinem etwas verschlossenen Bruder das Problem zu thematisieren. Gab es eine Situation wo es angefangen hat? Wann habt ihr realisiert das etwas nicht so läuft, wie es laufen sollte. Wie haben Freunde und Familie auf euer Chaos reagiert? Wie kam es zu dem Entschluss etwas ändern zu wollen? Wer hat euch geholfen und wie? Wie ist der heutige Stand, ich Stelle es mir sehr schwer vor, auch nach einer Entrümpelungsaktion dann nachhaltig eine Änderung beizubehalten. Ich Frage all das, weil ich mir wirklich Gedanken mache und ich in unserer Familie die einzige bin,die helfen kann, denn es gibt sonst niemanden mehr. Ich mõchte keinesfalls mit meinen Fragen indiskret sein und hoffe wirklich auf Euren Werdegang. Ich weiß einfach nicht, was ich tun kann, ohne, das mein Bruder blockt, denn wenn er sich von mir distanziert, steht er vollig alleine da, und das verbessert das problem ganz sicher nicht!
LG Schwester
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Tja, wie war das bei mir?
Also mir ist das glaube ich "in die Wiege gelegt" ich war schon immer "so".
Erst sagt man "Sie ist noch klein" dann "typisch Teenager" dann "Stress" "Studentenleben" und was es halt so gibt.
Ich habe ungefähr 5Millionenmal den Rat bekommen, mich doch "einfach" (HAHA) einmal zusammen zu reißen, in einer Hau-Ruck Aktion aufzuräumen.
Dann wäre doch alles gut...
Ich hab das also mehrfach so gemacht (Wenn mein Psychologe: "Danach werden Sie froh sein" sagt, glaube ich das ja erstmal...).
Aufgeräumt mit Gewalt, rigoros weggeworfen, alles weg, alles egal... Und am Ende gratulierte "man" mir... Und ich lag im Bett, wollte nicht mehr aufstehen. (ich hab Emin versprochen hier niemanden zu triggern, daher keine Details . Es ging mir wirklich schlecht. Punkt. ) Nach ein paar Monaten sah es schlimmer aus als vorher.
Irgendwann habe ich kapiert, dass ich (frühkindliches Trauma) die Wohnung unterbewusst als "Signal" verwende "Ey, das KANN so nicht bleiben, Sybille geht KAPUTT, HILFE!!!!!"
Dieses Signal mit Gewalt abzuschalten, damit andere sich nicht an meiner Situation stoßen, zu erwarten, dass ich dann brav "funktioniere" und dazu dann "So ist es besser" zu sagen war... Ähm... (s.o.) ... Keine gute Idee...
Was bei mir geholfen hat?
Die o.g. Erkenntnis, dass ich nicht zu FAUL bin, sondern DAS der Grund ist,
eine tiefenpsychologische Traumatherapie (SEHR schmerzhaft!!!)
und ne Menge Geduld.
Als erstes habe ich den Versuch aufzuräumen eingestellt. Es ging um MICH wen interessierte die £¥$¢°®©% Wohnung???!
Inzwischen bin ich wieder an der Wohnung dran. Es läuft wie ICH finde ganz gut, aber ich nehme die dumme Wohnung tatsächlich auch weniger wichtig. Ich versuche für mich (!) hilfreiche Routinen zu finden, die mir das Leben vereinfachen. Es mir(!) schöner zu gestalten. Dafür zu sorgen, dass ich (!) keine Schweißausbrüche kriege, wenn es klingelt... Sowas ... Sobald ich für Besuch aufräumen "muss" wirft mich das weit zurück.
Ich persönlich (!) empfinde daher große Aufräumaktionen, insbesondere mit Hilfe von außen als sehr problematisch. (@Emin ist anderer Ansicht, wir laufen hier als Gegensätze herum).
Weil: Wenn's nur das tatsächliche Aufräumen wäre...
Dann säße doch niemand hier im Chaos.
Wir sind alle nicht blöd und können unsere Hände benutzen.
Wenn wir trotzdem nicht fertig bringen eine Wohnung in Schuss zu halten, dann muss es dafür triftige Gründe geben. Und diese Gründe nicht zu suchen, sondern zu ignorieren nach dem Motto: "Hauptsache es sieht ordentlich aus" halte ich persönlich für einen weiteren Schritt Richtung Abgrund.
Ich bin mit meiner Traumatherapie (sehr hilfreich!) durch. Letztlich "helfen" kann mir längst keiner mehr.
Am hilfreichsten finde ICH Menschen, die mich mögen. Nicht "ach die arme Sybille, hat es schwer"-mögen sondern "Sollen wir morgen zusammen ins Kino?"-mögen.
Ich muss mich mit meinem Leben anfreunden und das ist schwieriger als es klingt. Was will man da von außen tun? - Nix. Also. Nix, außer "Hey, Sybille, willste nen Kaffee?" zu sagen, weil man diese komische Murks-Sybille mit der verkorksten Psyche und dem chaotischen Wohnzimmer tatsächlich nett findet.
Denn DAS überzeugt mich davon, dass ich hier vielleicht doch nicht so fürchterlich fehl am Platz bin. Jedenfalls die nächsten 10 Minuten während des Kaffees nicht. 😃 Und tatsächlich ist es ja nicht so, dass "normale" Menschen alles können. (Ich bin gut in Dingen, an denen so mancher verzweifelt kein Witz). Und so sorgen die Menschen, die mir "nicht helfen" manchmal dafür, dass ich mich viel weniger komisch und verkorkst und überhaupt fühle... Ach und die Wohnung?... Ich arbeite daran...
Soviel zu mir, ich hoffe ich konnte ein paar deiner Fragen beantworten.
Gegenfragen:
1) Warum glaubst Du, dass Dein Bruder Hilfe BEIM AUFRÄUMEN braucht?
2) Was steckt hinter dem Chaos?
3) Glaubst Du, Dein Bruder würde sich besser fühlen, wenn Ihr mit Gewalt aufräumt und warum?
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@Schwester (oben vergessen)
Liebe Sybille,
nein, mir geht es eigentlich gar nicht darum, das ich denke, das er Hilfe beim Aufräumen braucht. Ich glaub es auch nicht, das es ihm hilft, wenn ich mit ihm, ohne das er es wirklich will sein Haus aufräume. Ich mache mir einfach Sorgen um ihn. Für mich ist sein Chaos ein Symptom, nicht eine Ursache von Problemen. Aber ohne Frage ergeben sich durchs Chaos Probleme, die auf sein eigentliches Problem dazukommen. Nämlich daß sich Freunde abgewendet haben und er abeinsam wird. Wir haben Jahre hinter uns, die von Verlust geprägt sind hinter uns. Der aktuelle Trauerfall wird morgen beerdigt. Nun haben wir nur noch uns. Die Wohnungsauflösung die gemacht werden muss wird von meinem Bruder so geplant das er dies und das und jenes zu sich nehmen will. Dabei ist schon alles voll! Es macht also weder Sinn noch mehr ins Haus zu holen, noch braucht er das. Und das Problem wird dadurch auch nicht besser. Nun Stelle man sich vor, das ich auch noch das zeitliche segne.... Von daher ist es besser und längst überfällig, das er das Problem angeht das ist mein Gedanke dahinter. Er versteckt seinen Kummer redet darüber nicht und das verschlimmert das Problem. Desto mehr Probleme, desto schlimmer das Horten von Sachen. Er könnte es sich so schön machen, und auch wenn das die ursächlichen Probleme nicht nimmt, so kommen dann aber diese anderen nicht obendrauf. Ja, mein denken ist da sicher anders als das von betroffenen. Dennoch sehe ich,das es meinem Bruder alles andere als gut geht.
Hallo @Schwester,
mein Beileid erstmal.
Deine Fragen finde ich gut. Nicht so ganz leicht zu beantworten allerdings. Ich war schon als Kind eine Chaotin. Aber da hatte ich nicht viel Sachen. Also äußerte sich das in Mappenführung, Schrift, gelegentlich zerdrücktem Essen im Schulranzen, vergessenen (in Wirklichkeit ignorierten) Hausaufgaben usw.. Ich hatte zwischendurch auch immer mal ordentliche Phasen später - und zwar immer dann, wenn mir durch irgendwelche Lebensumstände der meiste Kram abhanden gekommen war. Was erstaunlich oft passiert ist und von mir mit derselben Gleichgültigkeit hingenommen wurde, die ich auch gegenüber meinem Messie-Chaos zeige. Also, es ist mir nicht egal, aber es löst auch keine spürbare Emotion aus. Es hindert mich auch nicht am Glücklichsein! Allerdings an ziemlich vielen anderen Dingen; und das stört mich. Ich will es also weg haben. Aber - und das ist ein witziger Widerspruch - wenn irgendwelche Entrümpler oder sonstige unbefugte Personen ihre Finger nach meinem Kram ausstrecken würden, würde mich das ungemein stressen und in den Kampfmodus versetzen. Weil - man weiß ja nicht, welche Schätze da im Gewühl versteckt sind und was ich überhaupt noch brauche und was nicht. Also muss ich das halt selbst machen und dann dauert es eben.
Einen Versuch, zusammen mit einer Bekannten aus dem Kiez eine bestimmte Kategorie anzugehen, hat es gegeben. Das war auch nicht effizienter.
Bei mir ist psychisch dahinter, dass ich Asperger-Autist*in bin. Davon gibt es hier im Forum deutlich mehr als im Bevölkerungsdurchschnitt. Ich hatte durchaus eine schwierige Jugend, die sicher auch Spuren hinterlassen hat, bin aber m.E. nicht traumatisiert im Sinne eines posttraumatischen Stress-Syndroms oder so. Wenn ich das gehabt haben sollte, ist es sozusagen auskuriert.
Mein latentes Chaos fing an, mir endgültig über den Kopf zu wachsen, nachdem ich nach dem Umzug nach Berlin mich komplett neu einrichten musste (und weitgehend ohne Geld - das machte aber nix, weil ich hab halt alles genommen, was irgendwer verschenkt hat oder was auf dem Flohmarkt fast geschenkt und brauchbar erschien, und das alles war mehr als genug) neu einrichten musste. An meinem früheren Wohnort hatte ich eine stressfreie Unterkunft für meinen Kram, den ich dann einfach dort vergessen hab... Bis dann jemand regelmäßig von dort hierher fuhr und jedesmal mit einem Auto voll Kartons hier ankam. 😳
Die hab ich aufgestapelt, aber es war ja mittlerweile alles schon voll. Und so stehen die Kisten da halt noch.
Jahrelang hatten in meiner Wohnung auch regelmäßige Treffen stattgefunden. Und so lange das so war, war wenigstens die Küche einigermaßen bewohnbar. Dann änderte sich das - und das war schon auch mit einem großen Verlust verbunden, wenn auch aufgrund meiner eigenen Entscheidung - und dann hat sich das Chaos so ausgebreitet, dass die Küche zeitweise nicht mehr benutzbar war. Mittlerweile kann ich dort wieder kochen und mache auch den Abwasch täglich. Müll war eh nie ein Problem (abgesehen davon, Dinge als solchen einzustufen, ach ja, und inklusive der Dinge, die sich im Laufe der Zeit in Müll verwandeln und natürlich nur gefunden werden, wenn sie stinken).
Was du von deinem Bruder erzählst, klingt eher klassisch. Verluste und so. Wenn du einigermaßen Englisch kannst, empfehle ich die Reihe "The Hoarder next Door" auf YouTube.
Freunde haben bei mir solidarisch reagiert. Es gibt Angebote, Sachen mit dem Auto wegzufahren. Aber da ich bisher den Platz nicht habe, eine Wagenladung aussortierter Sachen aufzustapeln, bringe ich es erstmal in kleinen Portionen weg. Wenn ich die Relationen überdenke, ist das zwar etwa so, als ob man mit dem Teelöffel eine volle Badewanne ausschöpfen will. Aber dafür passt das Verhältnis von Zeit, die ich an einem Tag mit Aussortieren verbringen mag und Menge, die ich gut wegschleppen kann ohne Auto, ganz wunderbar.
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