Hallo an alle,
ich bin 45 Jahre alt und leide schon so lange ich denken kann unter dem Lotterhaushalt meiner Eltern. Sie sind nicht wirklich Messies, aber sie sind so ganz anders als andere Leute.
Bei uns zu Hause war nie irgendwas schön, sauber, heil, vorzeigbar oder sonstwie dem zeitgemäßen Standard entsprechend. Alles war immer dreckig, kaputt, stank, schimmelte oder war provisorisch zusammengefriemelt.
Meine Mutter machte eine regelrechte Tugend daraus, viereckige Batterien an runde Batteriefächer anzuschließen oder Besenstiele als Kleiderstangen zwischen zwei Schränke zu nageln. Sie reparierte sogar den Kühlschrank mit Paketklebeband. (Sie ist tatsächlich technisch ambitioniert!)
Meinen Vater interessierte der Haushalt nicht sonderlich, der hatte seinen Garten und seine Laube. Auch diese war zuletzt aber nur noch eine Ansammlung von Provisorien, kaputtem Zeug und Müll.
Wohl gemerkt: Ich habe meine Eltern als Kind geliebt und ich liebe sie heute.
Aber ich habe mich mein ganzes Leben lang für mein Zuhause geschämt.
Gesagt habe ich ihnen das nie. Und sie hatten sich selbst die Einstellung zurechtgebastelt, dass sie eben "einfache Leute" wären. Wer mehr hatte oder schöner wohnte, das wären dann "feine Leute". So etwas wollten sie gar nicht sein. "Sauber" war für sie gleich "fein" - und das lehnten sie ab.
Vermeintliche Erleichterung kehrte ein, als ich mit meinem Freund und späterem Mann zusammen zog. Er war aus gutem, sehr sauberem Hause. Ihn hat das Chaos bei mir zu Hause immer angeekelt. (Was wunder.) Und für mich war es jedes Mal die Hölle, wenn ich ihn mitbringen musste, wenn wir eingeladen waren bei mir.
Heute lebe ich mit meinem Mann (dem gleichen wie damals) 800 Kilometer von meinem Elternhaus entfernt. Ich habe einen funktionierenden, gut geregelten Haushalt, in dem ich Besuch empfangen kann, ohne im Boden zu versinken.
So weit so gut. Jetzt zu meinem "running Problem".
Leider sind meine Eltern mittlerweile alt und sehr krank. Vater kann kaum mehr laufen. Mutter hat schwer Krebs, Diabetes etc. pp. Beide sind seit November 2015 in ihrer Lotterwohnung mehrfach gefallen, waren wiederholt im KH und dergleichen. Meine Mutter lag Anfang 2016 zudem mit Hirnblutungen auf Intensiv - mit Prognose auf "kurzen Verlauf". Sie erholte sich aber wieder.
Als gute Tochter bin ich in dieser Zeit natürlich so oft es ging die 800 Km nach Hause gefahren, um zu helfen. War nicht leicht für mich, mehrere Tage oder sogar Wochen wieder im alten zu Hause zu verbringen. Saubere Bettwäsche gab es nicht, frische Handtücher gab es nicht. Stattdessen gab es in der Küche Fliegenschwärme und in meinem "Gästezimmer" Motten. Der Haushalt war ihnen nun endgültig entglitten. Wäre das Gesundheitsamt vorbeigekommen, die hätten die Bude kurzerhand geschlossen.
Für mich stellte sich die Frage: Lasse ich die Eltern da weiter wohnen oder gebe ich sie in ein Heim? Alleine kamen sie definitiv nicht mehr klar. Sie drohten komplett zu verwahrlosen und vierter Stock ohne Aufzug macht sich für zwei Gehbehinderte ja auch nicht sonderlich nicht gut.
Ja, und gute Tochter, wie ich bin, habe ich sie nun zu mir ins Haus geholt. Sie wohnen unten, in der Einliegerwohnung. Dort versuche ich nun, in kleinem, abgesicherten Rahmen, das tägliche Chaos zu kontrollieren. Die Konflikte kann man sich denken.
Lange Rede, kurzer Sinn: Ich fühle mich zwischen Dreck und Zuneigung zerrissen. Mein Verstand hängt oft am seidenen Faden. Ich wünsche mir Austausch mit Menschen, die wissen, wie sich das anfühlt.
Wer möchte, und das alles hier eventuell gelesen hat, darf mir gern antworten. Ich würde mich freuen.
Grüße Vega