Hallo Judy,
es gibt schon einige Threads hier im Angehörigen-Forum, die sehr ähnlich klingen, und in denen schon so ähnlich geantwortet wurde, wie ich es hier jetzt tue. Das soll mich zwar nicht davon abhalten, auf deinen Beitrag individuell einzugehen, aber ich möchte dir dennoch empfehlen, einige der anderen, relativ aktuellen Beiträge durchzustöbern, und dir vor allem die (durchaus sehr unterschiedlichen) Reaktionen der Angehörigen anzuschauen. Für manche war das, was wir empfohlen haben, ein echter Augenöffner, andere reagierten empört und mit Rückzug. Wie du reagieren wirst, weiß ich nicht, aber der sinnvollste Rat bleibt trotzdem für mich der gleiche:
Das erste, was du dir klar machen solltest, ist, dass _du_ ein Problem hast. Die Art, wie deine Schwiegermutter lebt, gefällt dir nicht. Das könnte dir völlig egal sein, wenn da nicht dieser Punkt wäre, dass du und dein Freund dort arbeiten wollt, also auch bei ihr im Haus leben "müsst", weil der Ort zu teuer ist, um sich eine eigene Bude leisten zu können.
Ich weiß, dass das, was ich dir jetzt sage, wirklich hart und bitter ist, aber ich bin fremd, ich habe keinen Grund, dich dumm anzumachen oder zu verletzen, also ist das nicht meine Absicht. Die Wahrheit tut eben manchmal leider weh.
Du setzt deine Schwiegermutter unter Zugzwang, weil du die Veränderung willst. Aber der einzige Mensch, den du ändern kannst, bist du selbst.
Auch wenn du es unmöglich findest, wie sie lebt - sie fühlt sich wohl so. Sie hat bestimmt und entschieden, so leben zu wollen. Du hast eigene Vorstellungen, wie das Haus aussehen sollte. Kann ich verstehen. Ich bin mir auch ganz sicher, dass mir dein Stil millionenmal besser gefallen würde, aber es ist ihr Haus. Es sind ihre Besitztümer, ihre Erinnerungen.
Versuche, dich umgekehrt in die Situation zu versetzen, dass du nach einem Urlaub nach Hause kommst, und jemand hat deine Lieblingsbilder, Kindheitsfotos und deine Kleidung einfach weggeworfen, weil er findet, dass das Zeug hässlich ist, oder dass du zu viel davon hast. Kannst du dir vorstellen, was für eine Wut und Verzweiflung das in dir auslösen würde? Nun, bei den eigenen Sachen, die wir im Normalmaß besitzen, verstehen wir das. Bei alten Zeitungen oder vertrockneten Pflanzen verstehen wir es nicht.
Und das ist das zweite: Es ist eine psychische Störung, bei der das Herz an Dinge gehängt wird, die es für "Normalos" nicht wert sind. Du hilfst ihr nicht, indem du ihr diese Dinge wegnimmst, indem du aufräumst und entrümpelst. Sich zu trennen, das kann sie nur selbst. Um es selbst zu können, muss sie es wollen. Wenn sie nicht will, dann will sie nicht. So einfach ist das.
Je mehr Druck du ausübst, desto mehr wird sie sich zurückziehen. Je mehr du das "Messie-Ding" thematisierst, desto negativer wird sie auf die Begegnungen mit dir reagieren. Weil du ihre fragile Welt aus Plunder bedrohst, von der sie tief innendrin wahrscheinlich weiß oder spürt, dass das alles nicht mehr normal ist, was sie aber ausblendet.
Vieles von dem, was du beschreibst, ist sehr typisch für Messies, die Erinnerungen bewahren, oder Träume nicht aufgeben wollen. Der zugerammelte Kunst-Raum steht für unvollendete Projekte, die sie "irgendwann" in Angriff nehmen will. Leert sie den Raum, dann sterben all diese Projekte, sie hätte auf ganzer Linie versagt, in die Tat umzusetzen, was sie sich vorgenommen hat, und dem kann sie sich nicht stellen. Solange der Raum existiert, kann sie sich einreden, dass sie es noch tun wird.
Das gleiche gilt für die Kleidung. Das kommt z.B. sehr häufig bei denen vor, die "aus dem Leim gegangen" sind. Trennen sie sich von den Klamotten aus der Zeit, als sie noch schön und jung und schlank waren, dann würden sie sich nicht nur damit konfrontieren, dass sie alt und fett und hässlich geworden sind, sondern dass die Zeit der Jugend, Schönheit und Schlankheit für immer vorbei ist. Und das verkraften viele Menschen nicht - auch solche, die sich als normal bezeichnen würden. Da ist es einfacher, die Sachen im Schrank zu lassen und sich zu sagen "Irgendwann werde ich schon wieder in diese Hose passen".
Die Blumen sind vielleicht wirklich ein Stück weit Erinnerungen an Phasen, nach denen sie sich zurück sehnt. Oder die Bemühung/der Vorsatz, etwas aus diesen Phasen (Urlauben) mit nach Hause zu nehmen, damit das Leben dort mehr so wird, wie es im Urlaub war. Die Pflanzen aufzugeben wäre dann ein Eingeständnis, dass das nicht geklappt hat, dass man darin gescheitert ist, sein Leben so zu gestalten.
Das mit den Lebensmitteln kann ähnlich sein, oder auch eine sekundäre Problematik sein. Vielleicht hat sie sich vorgenommen, Liköre zu machen, ein selbstgemachte Marmelade, Kuchen, Torten, sauer Eingelegtes...aber wie bei so vielem anderen ist sie nicht bei der Stange geblieben. Sie hat so viele Projekte begonnen, dass sie sich verwurschtelt hat - oder sie hat so viele Ideen, dass tatsächlich ein Leben nicht reicht, um sie alle in die Tat umzusetzen, selbst wenn man von früh bis spät konzentriert dran bleibt. Tatsächlich gibt es viele sehr kreative Messies. Die Lebensmittel können aber genauso ein Zeichen dafür sein, dass sie entweder überfordert ist, neben den kreativen Projekten auch die Standard-Haushaltsführung auf die Reihe zu bekommen, oder es kann auch bedeuten, dass sie sich einfach nicht für solche Banalitäten interessiert.
Für mich ganz persönlich käme es nicht (mehr) in Frage, mit einem Messie unter ein Dach zu ziehen. Es wäre mir einfach zu anstrengend, und ich habe viel zu konkrete eigene Vorstellungen davon, wie ich leben möchte. Ich mag Dekoration, aber ich hasse jegliche Art von Gerümpel, Kabeln, unzugänglichen Ecken und Enge. Darauf reagiere ich viel zu empfindlich (und schnell schwermütig), als dass ich mir das freiwillig antun würde.
Wenn es also irgend geht, dann solltet ihr versuchen, eine eigene Bude zu finden, die bezahlbar ist.
ODER ihr müsst ganz klare, räumliche Begrenzungen vereinbaren. Wenn ihr bestimmte Räume bewohnt, dann muss klar sein, dass ihr die so gestaltet, wie ihr es wollt, während sie in ihrem Bereich weiter so leben kann, wie sie es will. Und keiner darf dem anderen reinreden.
Aufgrund dem bei deiner Schwiegermutter bestehenden großen Interesse an kreativen Projekten wäre höchstens noch die Möglichkeit gegeben, ihr die "Umgestaltung" des Hauses als Projekt (bzw viele kleine Projekte) schmackhaft zu machen. Wenn du also z.B. das Zeug im Garten furchtbar findest, dann könntest du ihr vorschlagen, genau an der Stelle ein wunderschönes Blumenbeet gestalten zu wollen - gemeinsam! - was natürlich nebenbei voraussetzt, dass der Haufen Krempel da weg muss. Dann muss dir aber klar sein, dass du die treibende Kraft bei diesen Projekten sein musst, die sie dazu antreibt, dran zu bleiben, und sich auch nur auf dieses eine Projekt zu konzentrieren, bis es vollendet ist.
Sprich: Du kannst versuchen, ihren "Projekt-Spleen" dahin zu lenken, wo du ihn gern hättest. Ob du das durchhältst - keine Ahnung. Ob das klappt - keine Ahnung. Ob du das Risiko eingehen willst - musst du wissen.
