Messie & Wahrnehmung

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24.11.2021 20:27
avatar  Robin
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@Eva S. Roth + alle Interessierten

Hallo,

wie ich in meinem Vorstellungsthread schon schrieb, bin ich diagnostizierte Asperger-Autistin. Lange Zeit dachte ich, dass Schwierigkeiten mit den Wahrnehmungsfiltern für mich v.a. beim Hören eine Rolle spielen - wenn ich die Nebengeräusche nicht wegfiltern kann und bei Lärm sozusagen schwerhörig bin, obwohl ich anscheinend viel zu gut höre, wenn's um Knallerei und Martinshörner geht.

In letzter Zeit kommt mir aber der Gedanke, dass diese Filter eine noch viel größere Rolle im visuellen Bereich spielen könnten, wenn's um das Bewältigen des Alltags geht. Zum einen fiel mir in letzter Zeit mehrfach auf, wie ich eine unübersichtliche Tabelle anstarrte, als sei ich Analphabetin (meine Noten in Deutsch, Rechtschreibung etc. waren stets gut bis sehr gut und ich lese viel und gern), während andere die gesuchte Information auf den ersten Blick zu finden scheinen. Einmal fragte mich sogar jemand "Warum legst du den Finger dorthin?" während wir zusammen auf einen Fahrplan schauten. Tja, weil ich irgendwie suchte nach der Stelle, wo ich anfangen muss zu lesen, und fand, das Fettgedruckte oben rechts sei zwar nicht das, was wir suchen, aber irgendwie ein Ausgangspunkt.

Ein Test, den ich mal in einem Buch über Wohnraumgestaltung fand, ergab eine Simultanerfassung knapp unter 4 und behauptete, dass ich damit ein Problem hätte, so wenig Dinge im Raum zu haben bzw. diese so zu gruppieren, dass es für mich ordentlich aussieht. Damals fand ich das noch lustig, weil das Chaos war mir noch nicht über den Kopf gewachsen - und auch die Nachricht, dass ich mit einer solchen Simultanerfassung in der Schweiz nie den Einschulungstest bestanden hätte, wirkte eher skurril.

Nun frage ich mich: Wie ist das denn im allgemeinen so bei Messies mit den Wahrnehmungsfiltern? Ich fand da nämlich in einem Buch eine hochinteressante Stelle, die ich hier nur auszugsweise zitieren will: "[...] ihr Inputsystem ist offen für alles: Geräusche, Gerüche, Stimmengewirr, Hintergrundmusik im Kaufhaus, die bunten Farben der Waren, die vielen Preisschilder, die an einer Leiste über den Nonfood-Waren hängen.
Doch leider können Messies die vielen Eindrücke, die im Alltag auf sie einstürmen, nicht schnell genug oder gar nicht verarbeiten. Ihnen fehlt ein *Auswahlsystem* [Hervorhebung der Autorin]: Was ist jetzt wichtig für mich und was vergesse ich lieber gleich wieder, weil es mich gar nichts angeht?"

(korrektes Zitieren ist hier nicht erlaubt, da es als Werbung betrachtet werden könnte, was einen Rattenschwanz an Folgen hätte, - ich finde das sehr seltsam, halte mich aber dran - also ohne Autorin und Titel, und wer einen Verdacht hat, um welches Buch es sich handelt: S. 48-49.)

Wenn es so ist, wie die Autorin hier schreibt, wenn das wirklich auf alle Messies zutrifft, dann... Also, das beschreibt sehr eindeutig Probleme, die Menschen haben, die im Autismusspektrum sind! Wobei dazu mittlerweile auch ADS und ADS(H) gezählt werden und es zumindest nach meiner Erfahrung eine *psychologische* Frage ist, ob man die Schotten dichtmacht oder alles einströmen lässt. Was nicht heißt, dass man es einfach mit dem Willen steuern kann. (Im Erwachsenenalter ging es bei mir in dem Maße mit dem Einströmen los, wie ich mich von der Kindheit und Jugend *erholt* hab!)

Welche Folgen hätte es wohl für die Betroffenen und ihr Umfeld und auch für die gesellschaftliche "Debatte" (nuja, so weit es eine gibt), wenn das "Messiesyndrom" ins Autismusspektrum eingeordnet würde? Klar ist für mich, dass man damit klar trennen könnte zwischen der inneren Situation - die sich nur insofern ändern lässt, dass Autist*innen genau wie andere Menschen auch lernfähig sind, glücklich oder unglücklich sein können, gesund oder krank usw. - und der äußeren Situation, die sich ändern lässt, wenn man seiner Wahrnehmung entsprechende Strategien anwendet und sich eine Situation schafft, mit der man umgehen kann.

Was sind eure Erfahrungen und Überlegungen dazu?


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24.11.2021 22:11
avatar  Sally ( gelöscht )
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Sally ( gelöscht )
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Hallo Miranda,
ich weiß nicht, ob ich das Buch habe...
doch unabhängig davon bin ich auch sehr gespannt, wie die medizinische Klassifikation von Messies zukünftig sein soll. In Richtung ASS habe ich das noch gar nicht bedacht, doch das klingt plausibel.


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25.11.2021 09:15
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Hi,
ich bin mir nicht sicher, ob ich das Buch kenne.
In den letzten Monaten habe ich herausgefunden, dass es nicht zwingend Krankheitsbilder sein müssen.
Viele Menschen sind hochsensibel und hochbegabt und vielinteressiert, sogenannte Scanner, und haben nicht die optische Messieausprägung in ihrer Wohnung.
Ich denke, dass viele Messies in diese Gruppen passen. Zu diesen Begriffen gibt es Literatur.
Ca. 30 % der Bevölkerung trägt eines dieser Merkmale in sich.
In Bezug auf die sensible Wahrnehmung, auf das nicht herausfiltern können von Geräuschen etc können diese Menschen mitreden.
Das Messiesyndrom ist ein Krankheitsbild, das viele krankhafte Begleiterscheinungen in sich trägt, und es kann auch sein, dass einige "gesunde" Persönlichkeitsaspekte dazu gehören, die bisher nicht benannt wurden.


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21.12.2021 12:56
avatar  IBI
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Hab ihr schon mal von "Hochstapler-Syndrom" bzw. "Imposter-Syndrom" "Betrüger-Syndrom" gelesen?
Ich hörte erst kürzlich von diesem Syndrom, das andere auch als Persönlichkeitsmerkmal darstellen.
Persönlichkeitsmerkmale, was das alles sind und wie vielfältig sie sind.
Menschen haben Selbstzweifel hinsichtlich der eigenen Fähigkeiten und Leistungen und Erfolge.

Nun als ich die typischen Handlungsweisen dieses Syndrom las, dachte ich, ah, wir sind keine Messies mehr, wir haben das Hochstapler-Syndrom.
Oder haben wir beides?
Jedenfalls, Perfektionismus, Angst nicht gut genug zu sein, die Leistung nicht darlegen zu können, sich abrackern und doch klein fühlen, selbstzweifel etc. kennen wir auch alle. Bei den meisten Betroffenen dieses Syndroms liegen ungünstige Konstellationen in der Kindheit vor.
Viele Themen, die wir zu unserem Syndrom zählen, scheinen andere Menschen auch zu haben, vielleicht weniger stark ausgeprägt, weil ihnen Routine nichts ausmacht.
Es ist kein klassisches Krankheitsbild und dennoch scheinen Ende der 70er Jahren Menschen dieses Syndrom definiert zu haben und die häufigsten Eigenschaften zeigen sich auf diese Weise.
Wie viele davon zusätzlich Messie in ihrem Daheim sind, dazu habe ich nichts gelesen, doch mich würde es nicht wundern. Und viele werden NUR diesen Teil haben und in einer aufgeräumten, ordentlichen Wohnung leben oder vielleicht viel zu viel putzen.

Es scheint unzählige Beschreibungen von Syndromen zu geben, die viele "Eigenschaften" gemeinsam haben.


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21.12.2021 16:19
#5
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@IBI natürlich haben wir in zweideutiger Hinsicht das Hochstapler-Syndrom. Einmal wegen dem Stapeln in der Wohnung, und einmal natürlich, weil wir immer befürchten, die Mitmenschen zu enttäuschen, die (scheinbar zu) große Erwartungen in uns setzen. Ich habe so einen Online-Test gemacht und bin in der oberen Mitte gelandet. Natürlich ist dabei auch die Angst, Verwandte und Freunde durch das Chaos in der Wohnung/ dem Haus zu enttäuschen oder auch anzuwidern. Oder zu entsetzen. Mein Vater wäre entsetzt, wenn er jetzt vor der Tür stände und klingelt und ich denke, das sind die Handwerker.

Schon bevor es zu richtigem Messiechaos kam, waren meine Eltern entsetzt, als sie Regale mit Unordnung und in den Kleiderschrank sahen. Ich habe heute Stunden gebraucht, um das Auto so weit leer zu räumen, dass wir jemanden mitnehmen können.

Das ist doch auch das Problem mit dem fehlenden Selbstvertrauen, hat aber nicht unbedingt mit dem Messie-Syndrom zu tun. Das Hochstapler-Syndrom betrifft auch ordentliche Menschen. Man kann das auch fehlendes Selbstbewusstsein nennen, das trifft eigentlich noch besser zu.

Viele Grüsse
Draculara

http://www.draculara.de

http://messie.bplaced.net/messie

Eine Lösung setzt ein Problem voraus. Ich kenne meine Fehler, das hält mich aber nicht davon ab, sie zu machen

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