Ich bin gerade umgezogen. In eine wunderschöne Wohnung im ersten Stock. Immer öfter bekomme ich einen merkwürdigen Geruch in die Nase. Es riecht nach Müll, obwohl das Müllhäuschen weit weg ist.
In der Wohnung unter mir sind ständig Vorhänge vorgezogen, Jalousien runtergelassen, der Garten wird nicht gemäht (was schon einen bösen Brief an der betreffenden Wohnungstür verursacht hat). Ich habe die Bewohnerin bisher erst einmal gesehen (als ich das erste Mal Sachen in die neue Wohnung gebracht hab) und mich kurz mit ihr unterhalten, da sie auch eine Katze hat.
Von anderen Mietern habe ich erfahren, daß jemand die Wohnung eigentlich kaufen will, sie aber niemanden in die Wohnung läßt und bei einem kurzen Blick von der Wohnungstür hinein die Kaufinteressentin Zeitschriftenstapel gesehen hat.Es brennt nie Licht, man hört nie was und erst recht sieht man nie jemanden auf der Terasse. Sie scheint im Haus keinen guten Stand zu haben. Logisch.
Und immer wieder dieser Geruch. Letztens wollte ich ihre Post, die auf dem Briefkasten lag, in den Briefkasten hineinstecken, der ist aber so vollgestopft, daß nichts mehr reinpaßt. Und da fielen alle Teile zusammen. Sie ist ein Messie. Der Geruch kommt durch die gekippten Fenster aus ihrer Wohnung.
Und durch die Ritze an ihrer Wohnungstür. Manchmal riecht es da auch ganz arg nach Parfüm...
Ich habe sowas ähnliches schon zweimal erlebt. Bei Freunden. Beide Male haben wir es gemeinsam geschafft, das Chaos zu beseitigen. Aber das waren Freunde. Einer von beiden kam von sich aus auf mich zu. Sie ist eine Fremde und für sie bin ich eine Fremde. Aber ich möchte ihr so gerne helfen. Erstens, ganz egoistisch, damit dieser Gestank verschwindet. Zweitens, weil ich den Gedanken kaum ertragen kann, zu wissen, daß unter mir ein Mensch im Müll wohnt. Daß ein Mensch aus welchen Gründen auch immer, den Überblick verloren hat, vereinsamt und immer. weiter im Chaos versinkt. Ich bin niemand, der die Augen vor den Problemen seiner Mitmenschen verschließt. Hat vielleicht auch damit zu tun, daß ich im sozialen/therapeutischen Bereich arbeite. Ich weiß, daß das Chaos nicht das Problem ist, sondern daß das eigentliche Problem tiefer sitzt und ob ich ihr dabei helfen kann, denk ich nicht. Da muß professionellere Hilfe her. Aber ich könnte ihr vielleicht helfen, den Anfang zu finden.
Ich würde von mir behaupten, daß ich einfühlsam bin, sonst könnte ich meinen Beruf nicht machen. Ich würde auch von mir behaupten, daß ich respektvoll mit ihr umgehen würde und und verständnis für ihre Situation habe, da ich aus eigener Erfahrung weiß, was für seltsame Wege unsere Psyche manchmal geht.
Nur: Wie komme ich an sie ran, ohne daß sie gleich abblockt??? Einen Brief schreiben? Nützt nix, sie leert den Briefkasten ja nicht. Sie anrufen? Was sagen? Zum Kaffee einladen? Wie soll ich sie auf das Thema ansprechen. Beim ersten Mal? Die Geschichte von meinen Freunden erzählen?
Vielleicht können Betroffene mir helfen, ihr zu helfen???