Auslöser

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12.07.2015 03:36
avatar  Wanda
#1
Wa
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Hallo, ich bin mir nicht sicher, ob ich hier in der richtigen Rubrik gelandet bin und ob mein Anliegen verständlich ist...
Meine Schwester ist Messie, bzw vermute ich, dass es eine Kombination aus Antriebsstörung und Messiesyndrom ist (ich schätze man kann es wahrscheinlich nicht immer 100% trennen oder?)
Als ich es gesehen habe, war ich sehr schockiert und habe mich verantwortlich gefühlt, ich dachte ich muss ihr irgendwie helfen. Mittlerweile habe ich verstanden, dass es nicht geht, wenn sie keine Hilfe haben möchte. Ich habe sie mit Kontaktadressen in ihrer Region versorgt und wir halten einfach so weiter Kontakt. Manchmal mache ich mir ziemliche Sorgen aber insgesamt bin ich jetzt relativ ruhig über die Situation.
Was mich aber immer wieder mal beschäftigt -nun komme ich zu meiner eigentlichen Frage ;) - was sind Auslöser oder häufige Faktoren, die letztlich dazu führen? Natürlich wird da jede Geschichte individuell anders sein aber sicher gibt es sich wiederholende Muster oder? Ich frage deshalb, weil ich mich gerade damit beschäftige, wieso ich selber Schwierigkeiten habe irgendwas zu spüren, merke zB erst das ich gestresst war wenn der Stress nicht mehr da ist usw und das schon immer aber immer überzeugt davon war, das ich einfach nicht so emotional bin. Vor einiger Zeit hat mir jd gesagt, meine Schwester und ich wären schließlich in der selben Familie aufgewachsen und die Entwicklung meiner Schwester würde zeigen, dass da irgendwas nicht "gestimmt" hätte. Ach, ich weiß auch nicht so recht, wahrscheinlich ist es absoluter Quatsch aber seit dem beschäftigt mich das irgendwie... Daher wollte ich einfach mal fragen...


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12.07.2015 05:05
#2
Ta
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Hallo Wanda !
Spontan fällt mir etwas ein und ich möchte Dir als Christin antworten :
Jesus sagt an einer Stelle, ich klopfe an........aber wie kann ich Jesus in mein Leben reinlassen, wenn ich nie bei mir selber
zuhause bin ?
Anders gesagt : Du bist schwer beschäftigt mit allen möglichen Sachen, nur nicht mit Dir selber, daher bemerkst Du zum Beispiel
die Überlastung durch Stress zu spät.......ist mir auch passiert. Das war mit ein Grund für die Depression.

Sei daher gut zu Dir selber.........sei Dir selber Dein bester Freund........ich weiss, das ist zuerst schwer, vor allem, wenn man selber
gewöhnlich sein schärfster Kritiker ist..... Grüssele Mausohr


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12.07.2015 09:06 (zuletzt bearbeitet: 12.07.2015 09:10)
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#3
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Guten Morgen Wanda,

Bei einer Antriebsstörung ist irgendwie der Ablauf des Prozesses "Ich erbringe eine Leistung und dafür bekomme ich eine Belohnung" durcheinander geraten. Betroffene setzen sich trotz eines schier unvorstellbaren Übermaßes an Druck, Angst und Scham nicht in Bewegung, und - das ist eine Erkenntnis hier aus dem Forum - alle haben gleichzeitig irgendwie ein Problem damit, sich positiv zu motivieren. Was genau da schiefgelaufen ist, ist individuell unterschiedlich, und damit es nicht langweilig wird, sind die meisten Mischformen. Manche schuften bis zum Umfallen, brechen irgendwann einmal zu oft zusammen, und stehen deshalb eines Tages gar nicht mehr auf. Oder sie wählen problematische Belohnungen, oder sie träumen nur davon, dass irgendwas von außen geschieht, das ihr Problem löst, und vieles mehr.

Wo kommt das her? Es kann sein, dass der Betroffene schon in der Kindheit nicht konsequent genug dazu erzogen wurde (z.B. überkritische Eltern, in Aussicht gestellte Belohnungen gab es dann doch nicht, Eltern haben die Erziehungsarbeit nur unregelmäßig oder gar nicht geleistet, haben keine Möglichkeit gefunden, die Kinder positiv zu motivieren)

Jeder kann in diesen ganz normalen und eigentlich auch recht simplen Leistung-Belohnung-Prozess irgendwann mal "aus Versehen" den Wurm reinkriegen. Das kann durch jegliche besonderen Ereignisse ausgelöst werden (Tod eines geliebten Mitmenschen, Verlust des Arbeitsplatzes, aber auch weit weniger dramatisch: längere Zeit krank, Schulden, Stress...), aber genauso auch durch banale Ereignisse, wie durch Umgang mit den "falschen" Leuten - nämlich solchen, die einen Tag nicht strukturieren, sich nicht selbst managen können, und einen dazu überreden, es ihnen gleichzutun. Jeder Fall ist anders, aber die "Selbstbehandlung" ist - bei uns hier - immer dieselbe: Wir üben den korrekten Ablauf von Leistung und Belohnung. So lange, bis er dem Betroffenen (wieder) in Fleisch und Blut übergeht.


Beim echten Messie ist die Erklärung komplizierter und individueller. Ich arbeite aktuell ein Posting aus, das sich mit "Angst und Trauer" beschäftigt, zwei Gefühlen, die bei vielen echten Messies ständig präsent sind, aber sich in ganz unterschiedlichen Formen zeigen. Trauer ganz naheliegend: Verlust eines geliebten Menschen, dessen Sachen man nicht hergeben will. Trauer weniger naheliegend: Kleidung, die man nicht hergeben möchte, weil man seinem früheren Gewicht/Aussehen nachtrauert, und die Konfrontation damit zu schmerzhaft ist, und/oder weil man sich daran klammert, dieses Gewicht irgendwann einmal wieder zu erreichen. Aktuelles Beispiel: Stühle nicht hergeben können, weil man früher viel Besuch hatte, und sich wünscht, dass das wieder so sein wird (was aber nicht sein kann, da man zu viel Zeug besitzt, um Leute reinzulassen).
Auch Angst hat viele Gesichter: Ich kenne jemanden, die würde gerne ihren Partner verlassen, aber als Vorbedingung hat sie sich gesetzt, erst ihre Papiere zu sortieren. Das ganze Haus ist voll damit, sie arbeitet unendlich langsam, und tut sich wahnsinnig schwer damit, die Papiere auszumisten. Sie will eigentlich gar nicht damit fertig werden, weil sie zu viel Angst hat, danach in die Tat umsetzen zu müssen, was sie sich für den Anschluss vorgenommen hat. Manche haben Angst vor Sozialkontakten, oder auch vor finanziellen Nöten, davor Hunger zu leiden (oft basierend auf Kindheitstraumata, Aufwachsen in der DDR bzw Nachkriegszeit). Man könnte noch stundenlang weiter Beispiele aufzählen, aber der kleinste gemeinsame Nenner ist wohl die "Angst vor dem, was passiert, wenn man sich von Dingen trennt". Wo das herkommt, ist total individuell, und - anders als bei der Antriebsstörung - muss auch ein individueller Ansatz gefunden werden. Professionelle Hilfe ist hier beinahe unerlässlich. Das Mindeste aber ist, sich als Betroffener ebenso schlau zu machen, wie als Angehöriger. Zum Beispiel mit Ratgeberbüchern zum (echten!) Messiesyndrom, oder im Austausch mit anderen Betroffenen.

Und ja, du hast Recht. Es gibt Mischformen. Das eine bedingt aber das andere nicht, beziehungsweise zieht es nicht zwangsläufig nach sich. Und jemand, der Schwierigkeiten hat, eine eher kleine, bestimmte Gruppe von Gegenständen loszulassen (so etwa ich mit den wenigen verbliebenen Besitztümern meines verstorbenen Vaters, die zusammen 1/3 Kellerabteil ausmachten, also nichts, was man als "Messie-Problem" bezeichnen würde), ist also eher jemand mit "Messie-Tendenzen", oder in dem "steckt ein kleiner Messie" - und das ist eigentlich bei den meisten Normalos auch der Fall. Die Grenze ist schwer zu ziehen; es kommt also hauptsächlich darauf an, ob der Betroffene unter seinem "Aufbewahrungs-Zwang" leidet, oder nicht.
Wenn jemand an einer Kombination leidet, empfiehlt es sich, die Antriebsstörung getrennt davon zu betrachten, und zuerst zu behandeln. Nicht nur, weil es einfacher ist, sie zu beheben (einfacher zumindest, als am Messiesyndrom zu arbeiten), sondern weil es die Grundbedingung ist, die erfüllt sein muss: Die Person braucht den Antrieb dazu, etwas ändern zu wollen - egal was.


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13.07.2015 05:33
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Vielen Dank für die Antworten! Ich schätze es handelt sich wirklich um eine Kombi, auf der einen Seite wirkt es wie zB nach dem Einkaufen die vollen Tüten abgestellt und nicht ausgeräumt, Zeitschriften die nie wieder aus der Wohnung rausfinden usw aber auch ein Teil der sicher mit dem was Du mit Angst und Trauer und sich daher nicht trennen können beschreibst, viele Dinge von uns früher, Erinnerungen usw. Dann kamen vor ein paar Jahren einige Verluste dazu und danach ist es "ausgebrochen" Meine Schwester hat als Kind Aufmerksamkeit dadurch bekommen (wenn auch oft negative), dass sie Dinge nicht hinbekommen hat - ich habe mich eher unsichtbar gemacht indem ich funktioniert habe, vielleicht hat das damit zu tun.
Ich habe die Einträge gelesen, wie man helfen kann und für mich macht das wieder erlernen von dem Leistungs-Belohnungssystem total Sinn, mein Problem ist dabei, dass ich richtig weit weg wohne-habe ich trotzdem eine Chance irgendwie helfen zu können? Ich spreche sie nicht auf den Wohnungszustand an, wenn wir telefonieren, dann reden wir über andere Dinge. ich bin mir oft nicht sicher, ob ich sie ansprechen sollte oder ob ihr das Druck macht. Ich bin die Einzige, die das jemals gesehen hat, dh sonst bekommt davon keiner was mit. Dadurch das ich im Ausland lebe, fühle ich mich immer wieder mitschuldig an der Situation -sie sozusagen auch noch im Stich gelassen zu haben. Das ist wahrscheinlich mit ein Part, den ich als Schwester mit zur Gesamtsituation beigetragen habe und auch wenn ich immer wieder Schuldgefühle deswegen habe, denke ich das es aber auch keine Lösung ist, wenn ich mein Leben nach ihr ausrichte. Aber ich finde es schwierig irgendwie hilflos daneben zu stehen...


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13.07.2015 08:31
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Vielleicht wäre es aber auch so gewesen, dass du ihr dort nicht hättest helfen können, wenn du bei ihr in der Nähe wohnen geblieben wärst. Vielleicht wärst du im gleichen Teufelskreis gelandet. Vielleicht hättest du dich mit ihr bis aufs Blut zerstritten. Man trifft immer die unter den gegebenen Umständen beste Entscheidung, nach Abwägen aller überschaubaren Konsequenzen. Das war für dich, wegzuziehen. Und vielleicht hat dieser Abstand dich letztlich dorthin geführt, dass du helfen willst, und die Distanz, dass du hier nach einer Lösung gesucht hast, statt es auf eigene Faust zu versuchen.
Dass es vielleicht völlig anders gekommen wäre, ist nicht bloß reine Spekulation, um dich zu trösten. Je enger man miteinander verbunden ist, desto geringer ist die Bereitschaft des Angehörigen, eine Änderung herbeiführen zu wollen. Es fehlt ja auch an der Kraft dazu. Es sind meistens die weiter entfernten, außenstehenden Freunde und Verwandten, oder jemand der "neu aufs Spielfeld tritt", etwa der neue Freund der Tochter (oder wie ich, die Schwiegertochter). Ich glaube, das liegt daran, dass es für diesen Personenkreis keine schleichende Entwicklung gibt, die man Schritt für Schritt auszuhalten lernen kann. Es ist ein krasser Kontrast, von der "Normalität" in so ein Szenario geschubst zu werden.

Für deine Schwester ist es - genau wie für jeden anderen Menschen, auch für die Normalos - hilfreich und im Alltag stärkend, zu wissen, dass man Menschen hat, die einen mögen, die sich freuen, wenn man sich sieht, oder miteinander telefoniert. Einfach zu wissen, wenns mir dreckig geht, dann kann ich da anrufen, und hab jemanden, der mir zuhört. Damit das im Ernstfall auch gemacht wird, muss man's wohl erst mal aufbauen, dieses Vertrauensverhältnis. Indem man zumindest schon mal nicht grob falsch reagiert, wenn der andere irgendwas von sich erzählt. Die in den Hilfetexten beschriebenen groben Fehler, diese Verletzungen, die man anderen zufügt, das ist ja alles keine Astrophysik. Sowas wie "Was haste denn jetzt schon wieder fürn Scheiß gebaut?" oder "Mein Gott, bei dir is auch jede Woche was Neues"...solche Dinge nicht zu sagen, wenn sich der andere öffnet, bringt schon viel, weil er dann weiß: Wenn ich mich da melde, krieg ich nicht noch die Extrakelle übergeschwenkt. Hilfreich wäre mMn ein regelmäßiges Telefonat, an einem bestimmten Tag, zu einer bestimmten Uhrzeit, z.B. jeden Sonntag um 19:00, und das auch begrenzen. Das wäre dann immerhin schon mal ein Ankerpunkt.

Das zweite, was ich wohl an deiner Stelle tun würde, wäre mit ihr mal über deine Gefühle zu reden. Genau das, was du mir jetzt gesagt hast: Dass du manchmal das Gefühl hast, sie im Stich gelassen zu haben, dass du ein schlechtes Gewissen deshalb hast, und glaubst, dadurch auch irgendwie mit Schuld daran zu sein, dass sie heute unglücklich ist. Und dann einfach mal die Antwort abwarten. Vielleicht führt es dazu, dass ihr eure Kindheitserinnerungen/ evtl sogar Traumata rauskramt, und gemeinsam aufarbeitet - dafür würden sich ein Teil der Gesprächszeit bei den Telefonaten anbieten (auch deshalb begrenzen, damit es nicht zu viel auf einmal wird). Ob man das umsetzen könnte, kannst du natürlich sehr viel besser beurteilen als ich, aber es ist schon mal ne Anregung.

Das dritte, was du machen kannst: Wenn du genug Vertrauen aufbauen konntest, und sie dir vielleicht irgendwann sagt, dass sie sich bewusst ist, dass was schiefläuft, sie aber nicht weiß, was sie dagegen machen soll, dann
a) dein Wissen über Antriebsstörungen weitergeben, erklären, wie man sich selbst motiviert (das setzt aber voraus, dass du es wirklich gut verstanden hast und erklären kannst)
oder
b) du schickst sie hierher.


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